Voraussichtliche Reisedaten

Mittwoch, 3. Juli 2019

3. Juli 2019 | Sasyqköl-See - Семей (Semey) (KZ) | 562 km | 15'000 km gefahren!

Ein grossartiger Himmel begrüsste mich zusammen mit einer Tasse Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker bereits um halb acht am Morgen...wir wollten heute die Strasse der nationalen Schande hinter uns bringen und standen deshalb besonders früh auf ohne Rücksicht auf einen vollständigen Schönheitsschlaf.

welch grossartiger Morgenhimmel über dem Muni!

Über die Strasse verliere ich keine Worte mehr...sie ist es nicht wert.

Wenn ich so konzentriert beifahre oder selber hinter dem Steuer sitze und mich womöglich noch über die Qualität des Untergrunds aufrege vergesse ich vollkommen, die wunderbare, an mir vorbei fliegende Landschaft zu geniessen. So ist es mir heute ergangen bis ich mich zum Glück eines Besseren besonnen und bewusst aus dem Fenster geschaut habe. So eine Weite, ohne Zivilisations-Anzeichen – oder zumindest mit sehr wenigen - werde ich wahrscheinlich lange nicht mehr sehen...wenn überhaupt jemals wieder.

Die Ebene erstreckt sich von einem Horizont zum anderen, weit weg erheben sich Hügel oder Berge, die Strasse führt geradewegs an den Horizont...es ist unbeschreiblich und leider auf Fotos kaum festzuhalten!


Auch dieFarben der Blüten, der Gräser, die vorbeifliegenden Vögel, die vielen Libellen, Tausende von Schmetterlingen, die Farben der Erden und Gesteine, die Tümpel, die Salzpfannen, Büsche, Bäume...wohin das Auge zielt: es findet überall etwas, das schön zu beobachten, speziell oder besonders ist.

Der Personenzug in kasachischen Hellblau vor der saftig grünen Hügelkette.


Der Reiter allein in der Weite der Steppe.


Die moslemischen Friedhöfe, die allerorten am Strassenrand stehen.


Tümpel, in denen sich der endlose Himmel über diesem weiten Land spiegelt.


Kuhherden in leicht gewellter Steppenlandschaft.


Stromleitungen überall. Besonders dort wo sie eine schöne Aussicht stören.


Es ist kaum in Worte zu fassen, an welchen Schönheiten wir vorbeifahren und all diese Grossartigkeiten aufnehmen und zusammen mit den Gerüchen, den Gefühlen, dem Schütteln auf dem Federsitz und dem Wind in den Haaren verbinden und speichern.

Da war vor uns dieser Lastwagen, der Betonelemente für Wasserdurchbrüche unter der neuen Strasse transportierte. Seine Ladung war nicht korrekt gesichert und mit jedem Ausweichmanöver rutschte sie mehr nach rechts. Ich sass am Steuer und fuhr in gebührendem Abstand lange hinter dem gefährlichen Fahrzeug her...und wir juchzten jedes mal wenn der Anhänger fast kippte vor schadenfreudiger Ekstase...aber es geschah nicht…die Katastrophe trat nicht ein, was auch besser war.



Und da war die Piste neben der katastrophalen Strasse kurz vor Калбатау (Kalbatau), die, wie sich herausstellte als Lorenz endlich auf sie wechselte, Tausend Mal besser zu befahren war als die Schüttelstrecke...mit dem einzigen Nebeneffekt, dass wir eine relativ heftige Staubwolke hinter uns her zogen.



«Kazachstan 2050» ist der Slogan der Regierung für die Verbesserung der Verkehrswege...es gibt sehr viel zu tun bis aus «Kackstrassan» ein Land wird, das man gerne befährt und sich Dank guter Strassen auf die grossartige Landschaft konzentrieren kann.


Nach Калбатау (Kalbatau) kamen wir in den Genuss ebendieser Strassen, die wohl Vorbild für das grosse Projekt sind: eine perfekte Fahrbahn ermöglichte uns, sehr zügig voran zu kommen und wir entschlossen uns spontan dazu, bis Семей (Semey) durch zu fahren obwohl bereits fast 18 Uhr war. Es blieben uns rund zwei Stunden für die fast 150 km...und wir schafften es!

Семей (Semey) kündete sich schon von Weitem mit rauchenden Schornsteinen, Hochspannungsleitungen und einem grösseren Verkehrsaufkommen an. Je näher wir kamen, desto stärker wurde auch der Geruch dieser Industriestadt deutlich. Es stank regelrecht nach verbranntem Plastik, nach Kohle aus den Kraftwerken, nach allerlei Industrie.

Hochspannungsmast mitten in der Hauptstrasse

Semey von der neuen Brücke aus


Семей (Semey), oder Semipalatinsk wie es in sowjetischer Zeit hiess, ist berühmt und berüchtigt geworden durch die sowjetischen Atombombentests. 1718 wurde auf Befehl Peters des Grossen hier eine Festung errichtet und erhielt 1782 das Stadtrecht. Hierher kamen Menschen aus den Städten um sich zu erholen, die Stadt wurde ein wichtiger Handelsknotenpunkt und war schon bald Zentrum eines grossen Gebiets.
Dostojewski lebte und schrieb hier. Viele Schriftsteller wurden hierher verbannt.
Von 1949 bis 1989 wurden auf dem Atomwaffentestgelände nahe der benachbarten Stadt Kurtschatow 496 Atombombem gezündet, über und unter der Erde. Der Bevölkerung war gesagt worden, Wodka helfe am besten gegen die Folgen der atomaren Verseuchung.

Wir besuchen diesen Ort des Schreckens nicht – aktive Ignoranz dünkt mich die beste Reaktion auf etwas, das eigentlich gar nie hätte existieren dürfen. Wir wissen genug über die Schrecken nuklearer Waffen und Kraftwerke – ein Besuch der Relikte käme mir wie eine Verherrlichung vor.

Besonders schön ist der Pinienwald nördlich von Semey, der in einer Sanddünen-Landschaft steht, die derjenigen an der französischen Atlantikküste bei Bordeaux sehr nahe kommt. Die knorrigen Bäume und die grasbewachsenen Sanddünen wirken hier, so weit weg von der nächsten Meeresküste, abstrakt und unwirklich. Ein farbenfroher Sonnenuntergang vervollständigte ein sehr schönes Bild einer Landschaft wie wir sie in Kasachstan bisher noch nie gesehen hatten und belohnten uns für die Anstrengungen eines langen Tages.


Nördlich des Waldes fanden wir einen Weiler, wo eine ШаШлык-Bude, wo wir einen grossartigen Schweins-Spiess von einer sympathischen jungen Russin serviert bekamen und den Tag gut genährt abchliessen konnten.

Ich bitte meine kurzen Worte zu verzeihen...ich bin müde und freue mich nach vielen Kilometern auf mein kuscheliges Bett. Wir haben heute übrigens die 15'000-km-Marke erreicht!

Gute Nacht!




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