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Dienstag, 16. Juli 2019

15. Juli 2019 | Київ (Kiew) | regnerischer Stadt-Tag

Das bestellte Frühstück stand bereits auf dem Tisch als ich ins Restaurant kam...unter einem «französischem Frühstück» verstehen sie hier eine Schüssel mit Porridge, einen teller mit Speck, Würstchen und einem sautierten Ei sowie zwei mit Schokolade gefüllte kleine Süssbrötchen. Es schmeckte gut, auch wenn die gekochten Dinge bereits kalt waren und stärkte für einen Tag mit langen Fussmärschen durch die Stadt.

Leider war das Wetter trüb und regnerisch, so dass wir die meiste Zeit einen Regenschutz tragen mussten und das Licht nicht sehr fotofreundlich war.


Unsere erste Station war das Mutter-Heimat-Denkmal mit dem grossen Museum über den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine, der hier wie in Russland «Grosser Vaterländischer Krieg» genannt wird, was der schrecklichen Zeit einen viel zu heroischen Namen verleiht.

Mil Mi-24 Kampfhelikopter

Die riesige Mutter-Heimat-Statue, ähnlich der in Wolgograd, dominiert die gesamte Anlage, die sich über eine grosse Fläche am südlichen Rand des Zentrums erstreckt. Unter ihr liegt das modern aufgebaute Museum, rund herum sind verschiedene Exponate von Kriegsmaterial der sowjetischen Streitkräfte, hauptsächlich Panzer, ausgestellt. Es hat auch ein – zur Zeit geschlossenes – Museum über den Afghanistan-Krieg auf dem Gelände, vor dem ein ehemaliger Flugzeugmechaniker sehr freundlich mit sichtlichem Stolz den hier ausgestellten Mil Mi-24-Kampfhelikopter betreut. Für ein kleines Eintrittsgeld durften wir in die Kabine steigen und Fotos von einer der gefürchtetsten und schrecklichsten Kriegsmaschinen der heutigen Zeit machen. Dieser von der NATO «Hind» und von den Mudschaheddin «Teufelswagen» bezeichnete Helikopter war in den 70er Jahren der schnellste und am schnellsten steigende Helikopter, er konnte auch Truppen transportieren und hatte eine sehr grosse Feuerkraft, was ihn zu einem gefürchteten Objekt machte. Besonders in Afghanistan wurde das Gerät erfolgreich eingesetzt und verbreitete Furcht und Schrecken.






In so einem Helikopter zu sitzen, die geflickten Einschusslöcher und die von einer afghanischen Rakete angeschossene Frontscheibe zu sehen erzeugte in mir Faszination und Abscheu gleichzeitig.
So ein Gerät, das während des kalten Kriegs als geheim vor den Augen Nichtbeteiligter verborgen worden war, real zu sehen, fotografieren zu können und sich in die Pilotenkanzel zu setzen war für mich ein besonderer Moment. Als ich dem Betreuer erklärte, dass ich im Militärdienst auch mit Flugzeugen gearbeitet habe, hat er mir einige Luken geöffnet und ein paar Spezialitäten gezeigt.


Mig-21 und Xoff



Katjuscha - Stalinorgel

Unweit der Abteilung für den Afghanistankrieg liegt ein Gelände, wo viele Panzer, einige Flugzeuge – darunter die berühmten Mig-21 und Mig-23 – sowie Raketen-Fahrzeuge – darunter auch die Katjuscha (Stalinorgel) und eine modernes sechsachsiges Radfahrzeug für Raketen mit über 5000 km Reichweite ausgestellt sind.
Es ist unfassbar, wie viel Energie, Wissen, Rohstoffe, Zeit und nicht zuletzt Geld in die Produktion all dieser nur der Zerstörung und Abschreckung dienenden Maschinen gesteckt wurde.

«kunsthandwerklicher» Unfug mit mit Patronenhülsen

Es hatte auch ein Schiffsmodell - Flugzeugträger Kiew, heute ein Vergnügungsschiff in China


heroische Skulpturen bei der Gedenkstätte

Das «Nationale Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg» (Національний музей історії України у Другій світовій війні), das 1981 von Leonid Breschnew eingeweiht worden ist, ist sehr modern und mit einer reichhaltigen Ausstattung aufgebaut. Es ist eines der grössten Museen der Ukraine und zieht jährlich mehrere Hunderttausend Besucher an. In der Eingangshalle ist mit eindrücklichen Exponaten die Entwicklung und Eskalation des Kriegs mit Russland seit 2014 dargestellt — die zerschossenen Pickups erinnern an die Berichte aus Syrien und anderen Kriegsgebieten, wo Milizen gegen gut gerüstete Armeen kämpfen.
Der Hauptteil des Museums ist in einen chronologischen und thematischen Rundgang gegliedert, wo — leider mit zum grössten Teil nicht auf Englisch übersetzten Erklärungen — die Entwicklung und die einzelnen Aspekte des «Grossen Vaterländischen Krieges» in der Ukraine dargestellt sind. Viele Exponate (Briefe, Fotos, Dokumente, aber auch sehr viel Schrott aus Waffen und persönlicher Habe) illustrieren ein unrühmliches Kapitel der Weltgeschichte im 20. Jahrhundert. Dies in einem Land, wo der Krieg so heftig und unmittelbar gewütet hat, zu sehen und zu wissen, dass all diese Zeugen der Geschichte in unmittelbarer Nähe zusammengetragen worden waren, dass unweit der Gedenkstätte Zehntausende von Menschen aller Religionen und Ethnien auf bestialische Weise umgebracht und verscharrt worden waren und dass die Stadt, die heute keinerlei Spuren des Kampfes mehr zeigt, vor einem halben Jahrhundert in Schutt und Asche gelegen hatte, ist sehr beeindruckend und auch beängstigend.

Ich bin mit einem flauen Gefühl im Magen aus dem Museum auf den mit Panzern geschmückten Platz in den Regen hinausgetreten und die «Mutter-Heimat-Statue» auf dem Hügel über dem Museum hatte so gar nichts Schönes und Heroisches mehr an sich, sondern die über 500 Tonnen schwere und 62 m hohe Frau mit Schwert und Schild aus Edelstahl kam mir mehr wie eine Verhöhnung des Leids und der Greuel vor.


Maria-Himmelfahrtskathedrale

Unweit dieser Gedenkstätte liegt das Kiewer Höhlenkloster (Києво-Печерська лавра), die «Lawra», wie es von den Einheimischen genannt wird. Ich besichtigte den riesigen Komlex aus Kirchen, Museen, Gärten und Parks und hatte nach über zwei Stunden nur einen kleinen Teil davon gesehen. Der gesamte Komplex ist neu restauriert resp. aufgebaut worden, nachdem er im 2. Weltkrieg grösstenteils zerstört worden war. Die grossartige und reich verzierte Maria-Himmelfahrts-Kathedrale (Uspenski-Kathedrale) war von den Deutschen gesprengt worden, weil nach damaliger Doktrin unterworfene Völker keine identitätsstiftenden Kultstätten haben sollten.



Die Lawra ist eine uralte Klosteranlage, die über viele unterirdische Wohn- und Sakralhöhlen verfügt, wo bereits im 10. Jahrhundert Mönche eremitisch lebten und gemeinsam die Liturgien feierten. Sie ist wohl die älteste christlich-orthodoxe Anlage in der Ukraine und wird von den einheimischen Gläubigen verehrt und rege besucht. Heute, nach der sowjetischen Zeit, leben auch wieder viele Mönche dort und führen die Traditionen weiter.




Mich hat die schiere Grösse der Anlage und die Reichhaltigkeit der russisch-barocken Sakralbauten sehr beeindruckt. Der gesamte Komplex ist sehr schön renoviert und lohnt auf jeden Fall einen Besuch und kann mit vielen Superlativen aufwarten, die ich hier nicht aufzählen will...detaillierte Informationen finden sich im Internet. 

irgendein Fussballer beim Stadion in der Stadt

Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit einem Spaziergang Richtung Maidan, dem zentralen Platz in Kiew, der durch die Protestbewegung «Euromaidan» ab dem 21. November 2013 bekannt geworden ist.


Ich kam dabei an der Gedenkstätte für den «Holodomor», die menschengemachte Hungersnot in den Jahren 1932/33, während der mehr als 10 Millionen Ukrainer verhungerten weil Missernten und die Zwangskollektivierung unter dem Diktator Stalin das Land auslaugten. Heute wird von ukrainischer Seite mit Druck an der Anerkennung dieser wohl absichtlich herbeigeführten Hungersnot als Genozid gearbeitet, wogegen sich natürlich die russische Junta wehrt.

Holodomor-Gedenkstätte

Etwas weiter liegt der Marienpalast, eines der unzähligen im Zuckerbäckerstil des 18./19. Jahrhunderts erbauten Palasts, der heute dem ukrainischen Präsidenten als Repräsentationsbau dient. Er liegt unmittelbar neben den ukrainischen Parlament.

Marienpalast

Die Stadt ist sehr grosszügig angelegt und erst im unmittelbaren Zentrum werden die Distanzen etwas kleiner und die Gassen etwas enger. Leider finden sich sehr wenige spezielle Geschäfte, denn der globalisierte Konsum zieht auch hierhin die grossen Marken, die sich an den «guten» Strassen breit machen und ihren Einheitsbrei auch in die neu erschlossenen Wirtschaftsgebiete ennet des ehemaligen Eisernen Vorhangs streuen. Shopping — oder wie wir in der Schweiz sehr treffend sagen - «Lädele» ist hier keine Freude. Da sind Städte wie Hamburg, Berlin, Paris, London viel individueller und spannender...hier lassen sich leicht günstiger als bei uns Markenartikel kaufen...Spezielles und Lokales aus sympathischer Kleinproduktion findet sich kaum. Vielleicht habe ich auch schlicht nicht die richtigen Ecken gefunden…;)

Kunst aus Kriegsschrott auf dem Maidan

Den Abend verbrachten wir schick in unsere mitgebrachten Anzüge gekleidet im «11-Mirrors-Rooftop-Restaurant» von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschkos Nobelhotel im alten Kiew. 
Wir genossen von einem kompetenten Barkeeper beraten und betreut einen sogenannten Signature-Cocktail (Hauscocktail), genossen die Aussicht über die abendliche Stadt und assen uns danach durch die gesamte ukrainische Karte. Wir bestellten eine Flasche Champagner und alle ukrainischen Spezialitäten, die auf der Karte zu finden waren und wurden königlich bedient, hervorragend bekocht und hatten in der letzten Stadt unserer Reise einen würdigen und verdienten noblen Abschlussabend in schickem Ambiente und mit grossartiger Aussicht.
Dass die sehr gutaussehenden und sehr spärlich bekleideten jungen Damen im benachbarten Club zu unserem Absacker sehr gelangweilt an der Stange tanzten schmälerte in keiner Weise den grossartigen Abend und auch der falsche 500er, der Lorenz vom Taxifahrer untergejubelt wurde konnte dem tollen Erelbenis «Kiew by night» keinen Abbruch tun.

Volga-Oldtimer vor dem Hotel


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