Natürlich, auch heute, auf dem Parkplatz bei der grossartigen Шашлик (Schaschlik)-Beiz bei Семей (Semey) gab's den Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker...frühmorgens kurz nach sieben Uhr. Und, oh Wunder, es war ein weiterer Sommertag ohne Wolken am Himmel, der uns begrüsste. Und wieder – wie seit mehr als zweieinhalb Monaten – war kein Flugzeug und kein Kondensstreifen am Himmel zu sehen.
Ich war mir gar nicht bewusst, wie sehr die vielen Flugzeuge mit ihren Kondensstreifen den Himmel über Europa verschandeln und verändern...hier gibt es keine (sichtbaren) Flugzeuge am Himmel und ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Kondensstreifen gesehen habe. Blauer Himmel ist hier blau. Ohne Schleier, ohne Streifen. Einfach blau. Und so war auch dieser Morgenhimmel. Einfach blau.
Heute stand der Grenzübertritt nach Russland bevor. Wir hatten den Tipp erhalten, einen kleinen Grenzübergang östlich, auf der A10 bei Шемонаиха (Schemonaicha) zu benutzen, da es dort zügig und einfach vonstatten ginge. Aber sparten uns den Umweg von etwa 100 km auf zweifelhaften Strasse und fuhren direkt zur Grenze nördlich von Семей (Semey) Richtung Барнаул (Barnaul).
Rechterhand lag bis kurz vor die Grenze der Wald im Sanddünen-Gebiet, links lag ein letzter Zipfel kasachischer Steppe, die jedoch schon viel mehr Bäume und Sträucher aufwies als wir es von den Weiten der letzten Tage gewohnt waren. Bis zur russischen Grenze waren es wenig mehr als 100 km auf recht guten Strassen. Erstaunlicherweise war keine Warteschlange vor der Grenze und wir mussten nach dem ersten Vorzeigen der Reisepässe nur etwa eine halbe Stunde warten bis wir zur Ausreiseabfertigung durchgelassen wurden. Das Fahrzeug wurde genau kontrolliert, wir wurden gefragt, ob wir Heroin, Kokain, Amphetamine oder Marihuana dabei hätten, was wir selbstverständlich mit einem ob der Frage erstaunten lachen verneinten und dann durften wir die Pässe abstempeln lassen, von den Grenzbeamten ein «See you again in Kasachstan» entgegen nehmen und zur russischen Seite hinüber fahren.
Entgegen unserer Erwartung eines komplizierten Einreiseverfahrens verlief die Einreise in Russland noch schneller. Zuerst die Passkontrolle mit den immer gleichen Fragen ob wir die lokale Sprache sprechen, woher wir kämen (aus Kasachstan?¿?), wohin wir gingen (nach Russland?¿?) und ob wir Touristen seien. Ich muss mir beim Beantworten der Fragen jeweils einen blöden Spruch verklemmen...aber vielleicht ist das die kleine Abwechslung, die man als Zollbeamter hat und wahrscheinlich sind das die einzigen Fragen, die sie einem Sprachunkundigen überhaupt stellen können. Eines muss ich den Beamten auf unserer ganzen Reise lassen: sie sind immer sehr freundlich, eher locker drauf und würden wohl am liebsten länger mit uns plaudern.
Nach weniger als anderthalb Stunden waren unsere Reisepässe abgestempelt und das Fahrzeug durch gewinkt und wir konnten uns Richtung Барнаул (Barnaul) auf den Weg machen.
Mich erstaunt es immer wieder, wie vieles sich verändert einfach durch die Tatsache, dass man eine Landesgrenze überschritten hat. Die Landschaft, die Agglomerationen, die Strassen, die Wälder, die Felder, ja sogar der Himmel sind jedes mal anders.
Uns ist natürlich als erstes die Qualität der Strassen aufgefallen. Ich kann den Unterschied zwischen kasachischen und russischen Strassen am einfachsten so erklären: in Russland werden Strassen erneuert wenn sie so aussehen wie die neuen kasachischen Strassen. Oder anders rum: in kasachischen Strassen werden offensichtlich Schlaglöcher und Quer- und Spurrillen nach dem Vorbild 40 Jahre alter russischer Strassen von Anfang an eingebaut. Oder so: Die Baustellenumfahrungen in Russland sind qualitativ besser als die neu gebauten kasachischen Strassen. Der Unterschied ist frappant und erstaunlich.
Landschaftlich ist Russland in dieser Ecke viel grüner und saftiger als die wenige Kilometer entfernte kasachische Landschaft. Hier sind viel grössere und gut gepflegte Felder und Äcker in regelmässigen Abständen von Baumreihen gegen den Wind geschützt – dort sind die meisten Bäume vertrocknet oder gar nicht erst gewachsen und die Äcker und Felder sind viel kleiner und längst nicht so zuverlässig bewässert.
Durch die saftig grüne Landschaft kam mir heute das Licht und Zusammenspiel von Himmel, Wolken, der Topografie und den verschiedenen Grün der Vegetation besonders schön und faszinierend vor. Die überaus gute Strasse liess mich als Beifahrer und hinter dem Steuer immer wieder den Blick über die Weiten schweifen und die Augenblicke geniessen auch wenn nicht viel Abwechslung vorhanden war. Es war wunderbar!
Wir kamen unglaublich gut voran und fuhren schon kurz nach 16 Uhr in die Vororte von Барнаул (Barnaul). Dort stehen Tausende von Datschas, den kleinen Häuschen mit Garten, wo die Russen gerne ihre Wochenenden und hier wohl auch die Sommerabende verbringen. Es gab von einfachen und superkleinen Holzhäuschen bis hin zu relativ grossen und luxuriös angefertigten Häusern viele verschiedene Varianten zu sehen. Mir gefielen die kleinen, zweistöckigen und einfach gehaltenen Häuschen am besten...was braucht man mehr als eine Wohnküche und ein Arbeits-Schlafzimmer, eine Toilette und eine Dusche? Beim Anblick dieser schnuckeligen Häuser begann ich von einer ähnlichen Wohnsituation zu träumen.
Etwas mühsam gestaltete sich die Suche nach einem Hotel, denn wir wollten wieder einmal eine gemütliche Dusche nehmen und getrennt schlafen. Die Hotels in der Innenstadt konnten wir wegen der Grösse unseres Fahrzeugs nicht anfahren – und diejenigen ausserhalb waren belegt. Also fuhren wir weiter Richtung Новосибирск (Novosibirsk) und wurden etwa 50 km km nördlich von Barnaul bei einem schönen Restaurant fündig.
Wir sind hier am 84. Längengrad angekommen, dem östlichsten Punkt unserer Reise. Abzüglich der 7°, die die Schweiz östlich liegt, sind wir also rund 75°oder etwas mehr als einen Fünftel auf der Erdkugel nach Osten gefahren.
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