Voraussichtliche Reisedaten

Mittwoch, 10. Juli 2019

10. Juli 2019 | Самара (Samara) – Тольятти (Tolyatti) – Сызрань (Syzran) – Вольск (Volsk) - Саратов (Saratov) (RU) | 515 km | Tachostand 100'000 km

Das Frühstück im Гостиница Моя (Hotel Maya) in Самара (Samara) war der absolute Oberhammer! Ein grosses Buffet stand uns offen und ich machte mir im Tauchbad mit Hilfe der bereitstehenden Sanduhr ein perfektes Dreiminutenei, liess mir aus der Müslimühle eine feine Mischung heraus und verfeinerte sie mit Сметана (Sauerrahm), Buttermilch und Milch, nahm Wassermelonen und rote Trauben, legte Toaststreifen auf den Teller neben die Butter und die Gumfi UND braute mit einen feinen Schwarztee mit Milch und viel Zucker...so viel hatte ich wohl seit Jahrzehnten nicht zum z'Morge gegessen! Es war himmlisch.

So konnte ein guter, erfolgreicher Tag starten.

Ein schöner Ausblick aus dem Fenster in der Wolgaebene

Als wir den Muni starteten und aus Самара (Samara) fuhren strahlte die Sonne mit uns, denn wir hatten beide eine ruhige, gemütliche Nacht in getrennten Hotelzimmern verbracht, waren frisch geduscht und hatten frische Kleider an.

Rost-Kunst vom Schrottplatz I

Als erstes hielten wir nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt bei einem Gartenzwerg-Verkaufsstand und Lorenz machte ein Foto für eine weitere Postkarte für Hanni, eine Berner Gartenzwergbesitzerin, deren Gartenzwerg wir heimlich mit auf die Reise genommen haben und immer wieder ein Foto für eine Gratispostkarte der Schweizer Post gemacht haben. Ausserdem kaufte er ihr einen russischen Gartenzwerg der allerschrecklichsten Sorte – ihr wird er bestimmt gefallen, denn wer einen Gartenzwerg lieb hat, liebt alle Gartenzwerge (haben wir uns wenigstens gesagt)

Blick auf die Wolga von der Brücke bei Tolyatti

Nördlich der Wolgaschleife, an der Самара (Samara) liegt, befindet sich ein 200 km langer Stausee, an dem die Stadt Тольятти (Tolyatti) liegt. Als 1955 der Stausee gebaut wurde, versank der grösste Teil der alten Stadt in den Fluten und sie wurde am linken Wolgaufer neu erbaut.
Diese 720'000-Einwohner-Stadt ist vor allem für die Lada-Werke bekannt.
Ihren heutigen Namen erhielt sie 1964 zu Ehren des italienischen Kommunisten Palmiro Togliatti – früher hiess sie Stawropol (wie die Hauptstadt der gleichnamigen Region in Südrussland) – der während der faschistischen Diktatur in Italien im Exil in Russland lebte und nach dem Krieg Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens war. Pikanterweise hatte er in 20er Jahren des 20. Jahrhunderts an Streiks teilgenommen, die den Fiat-Konzern, der 1966 die Lada-Werke in Тольятти (Tolyatti) gebaut hat, fast in den Ruin getrieben hätten.
In den 1990er und 2000er Jahren erlebte Тольятти (Tolyatti) eine beispiellose Welle der mafiösen Gewalt, die mit den Kämpfen um die Kontrolle der Lada-Werke und deren italienischen Ursprung in Zusammenhang zu bringen ist. Mehrere wichtige Persönlichkeiten wurden ermordet und Тольятти (Tolyatti) galt als eine der Städte Russland mit der höchsten Kriminalitätsrate.

historischer Kilometerstand

Als wir bei Тольятти (Tolyatti) die Wolga überquerten durfte unser Iveco 110-17 einen historischen Moment feiern: der Kilometerzähler wechselte von 99'999 auf 100'000 km. Nun ist unser Muni endlich erwachsen geworden, obwohl er nach zentralasiatischen Massstäben noch immer neu ist.

optisch und olfaktorisch ein eher zweifelhaftes Vergnügen: die Erdölraffinerie

Die nächste Stadt, an der wir vorbei fuhren, war Сызрань (Syzran). Diese mit ihren 180'000 Einwohnern für russische Verhältnisse eher kleine Stadt war lange eines der wichtigsten Zentren für die Getreideverarbeitung. Mit der Erschliessung durch die Eisenbahn wurde die Stadt auch ein wichtiger Industriestandort – heute dominiert eine riesige Erdölraffinierie die Silhouette wenn man auf der Autobahn an ihr vorbei fährt.
1906 ereignete sich eine Brandkatastrophe, bei der 5000 der hauptsächlich aus Holz gebauten Gebäude der Stadt zerstört wurden, etwa 1000 Menschen ihr Leben und 30'000 ihr Zuhause verloren.

entlang der Wolga

Jetzt folgten wir der Wolga, die hier mehrere Kilometer breit ist und sich teilweise ein noch viel breiteres Bett sucht, wobei sich Hunderte von kleinen Inseln im Flusslauf befinden, die meist mit Bäumen bewachsen sind. Sie zieht sich wie ein breites Band durch ein immenses flaches Tal und hat sich in der Vergangenheit in den Sedimenten mäandrierend ihren Weg gesucht. Diese Suche manifestiert sich heute in einer hügeligen Landschaft entlang des modernen Flusses. Die Erhebungen sind bisweilen mehrere Hundert Meter hoch und bieten der Landwirtschaft fruchtbaren, mineralien- und nährstoffreichen Boden.

Xoff am Steuer, im Hintergrund die Wolga

Etwa in der Mitte zwischen Самара (Samara) und Саратов (Saratov) liegt Вольск (Volsk), eine Kleinstadt mit rund 66'000 Einwohnern. Sie besteht seit dem 17. Jahrhundert und erhielt erst nach der Oktoberrevolution eine Bedeutung als wichtiges Zentrum der Zementproduktion.
Von 1921 bis 1933 gab es eine geheime Militärkooperation zwischen Deutschland (Weimarer Republik) und Russland, in deren Rahmen in Вольск (Volsk) eine Schule für chemische Kriegsführung unterhalten wurde. Ausserdem gab es in der Nähe der Stadt zwei Kriegsgefangenenlager für Deutsche Soldaten des Zweiten Weltkriegs.

Getreidefelder über Hunderte von Kilometern

Gegenüber von Вольск (Volsk) liegt die Stadt Балаково (Balakovo) mit ihren fast 200'000 Einwohnern. Sie beherbergt eine umfangreiche chemische Industrie, ist aber optisch vor allem durch die vier Kernreaktorblöcke vom Typ WWER-1000 mit einer Leistung von je 950MWe auffällig, die von Weitem sichtbar sind und einem auch auf grosse Distanz einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Hier wird an einem grossen «Abfallbehandlungszentrum» für Reaktorabfälle gearbeitet, das nächstens in die «heisse Phase» gehen soll...ich will mir lieber nicht vorstellen, was dort vor sich geht und was mit dem «Abfall» passiert.

Fernstrasse in den Hügeln der Wolgaebene

Ausgerechnet als wir uns der Stadt Саратов (Saratov) näherten wollte unser Navigationsgerät nicht mehr seinen bisher zuverlässigen Dienst tun und versuchte uns auf eine falsche Route zu schicken...aber wir merkten es, denn wir sollten nach Osten abbiegen, was wir auf keinen Fall wollten! Den Osten von Саратов (Saratov) kenn wir nämlich schon vom Anfang unserer Reise: die Strecke von Саратов (Saratov) Richtung kasachische Grenze – landläufig als «die Hölle von Саратов (Saratov)» bekannt – war unsere erste Rüttel-Rumpel-Schlagloch-Katastrophen-Piste.
Nach einem Neustart besann sich das Navi allerdings zu unserem Glück auf seine wahren Qualitäten und zeigte nun den richtigen Weg an.

an der Grenze zur Saratovskaja Oblast

Noch auf der Umfahrungsstrasse um Саратов (Saratov) fanden wir eine Гостиница (ein Hotel) mit grossem bewachtem Parkplatz, vor der ein Mil Mi-2 Helikopter (NATO-Name Hoplite) auf einem Gestell präsentiert ist. Dieser Helikopter wurde 1961 konstruiert und in mindestens 24 Varianten bis 1988 mehr als 5000 mal gebaut...und fliegt zum Tail heute noch! Er war der erste Helikopter von Michael Mil mit Gasturbinen-Antrieb und stellte 1965 zwei Geschwindigkeitsrekorde mit 253, resp 269 km/h über eine 100 km-Strecke auf...beim schnelleren Rekord war mit T. Russijan eine Frau als Pilotin am Steuerknüppel.

Mil Mi-2 als Aushängeschild einer Gostiniza
Hardegger-Perle-Feierabendbier
das Bier des Moments mit Mikro-Apéro-Häppchen

Auf dem sehr grossen Parkplatz, auf dem wir bei unserer Ankunft fast alleine standen, warfen wir die Eismaschine an und genehmigten uns ein «Hardegger-Perle Chrüter»-Bier, das wir von Res, einem der Brauer dieser Kleinserie eines Berner Spezialbiers, extra für die damals noch geplante denkwürdige Ankunft in Wladiwostock ettiketiert mit auf den Weg bekamen. Res war mit dem Muni und dessen Vorbesitzer Hansjörg bereits in der Mongolei gewesen und wusste wohl um die Sehnsucht nach einem frischen Schweizer Bier hier im fernen Russland. Dass es uns nicht ganz bis Wladiwostock gereicht hat (dabei waren wir doch so nahe!) hat unseren Genuss des feinen Gersten-Kräuter-Safts in keiner Weise geschmälert und wir haben beide einen kräftigen Schluck auf die Hardegger-Perle-Brauerei-Kunst genommen. Danke Res!

kleiner Muni auf dem Parkplatz (der weisse kleine Lastwagen rechts neben dem grossen roten)

Im Abendsonnenlicht machte ich einen kleinen Fotospaziergang über den Schrottplatz des Parkplatzes und hielt verrostende Tanks und abgehalfterte Lastwagenteile fest, während die Sonne immer tiefer sank und uns ihres wärmenden Einflusses beraubte. Obwohl wir uns hier «nur» auf dem 51. Breitengrad Nord befinden wird es um diese Jahreszeit bereits empfindlich kühl sobald die Sonne untergegangen ist.

Muni mit Abendsonnenstern
Rost-Kunst vom Schrottplatz II

Rost-Kunst vom Schrottplatz III

Rost-Kunst vom Schrottplatz IV

Rost-Kunst vom Schrottplatz V

Rost-Kunst vom Schrottplatz VI

Rost-Kunst vom Schrottplatz VII

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