Voraussichtliche Reisedaten

Samstag, 29. Juni 2019

29. Juni 2019 | Karakol (KG) | Ruhetag

Auch heute wieder: Toast, Butter, Gumfi und der unverzichtbare, obligate, grossartige, leckere, geliebte Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker...ein perfekter Start in einen guten Tag.

orthodoxe Kirche mit Pavillon

Ich machte heute einen Spaziergang durch die Stadt und wollte die orthodoxe Kirche der Heiigen Dreifaltigkeit und die Dunganen Moschee besuchen. Tante Google half mir beim Finden der wohl einzigen zwei historischen Gebäuden der Stadt und ich ging durch Seitenstrassen mit vielen kleinen Häusern. Diese Strassen sind ausnahmslos Naturstrassen, nur die Hauptstrasse sind asphaltiert. Der Raum zwischen den Häusern ist für schweizerische Verhälntisse enorm, so dass vor den Häusern viel Platz bleibt und meist eine reiche Vegetation wachsen kann. Hier blühen verschiedenste, bei uns als Unkraut angesehene Pflanzen und geben den Strassen ein sehr ländliches Aussehen. Fast überall fliessen kleine Bäche entlang der Fahrbahn. Auf den ersten Blick sieht alles ein wenig verwahrlost aus, ist nicht so fein herausgeputzt wie bei uns. Aber diese scheinbare Unordnung schafft Platz für Vegetation und Fauna. So sieht man sehr viele Insekten, Schmetterlinge, Bienen und auch Vögel. Und es liegt absolut kein Unrat herum und auch Abfall findet sich gar nicht. Die Menschen sind sehr Sauberkeitsbewusst und lassen praktisch nicht liegen.

typisches Haus in einer Seitenstrasse in Karakol mit Kirschbäumen im Garten

Viele Häuser sehen von Aussen – innen habe ich sie nicht besichtigen können – heruntergekommen aus. Aber man sieht sehr oft schöne Verzierungen und kunstvoll gearbeitete Dachfirste und Fensterläden. In den Gärten wachsen Obstbäume – im Moment sind die Kirschen reif. Viele Bäume sind reich behangen und an den Überlandstrassen werden die Kirschen in kunstvoll aufgefädelten Bündeln verkauft.

Quatierstrasse mit üppiger Strassenrandvegetation

Mit einer Punktlandung stand ich auf einmal vor der orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, welche in einem waldähnlichen Geviert liegt und mit ihren grünen Dächern von weitem auffällt. Als ich durch den Eingang in der Umfriedungsmauer ging, begrüsste mich die Holzkirche von ihrer schönsten Seite. Die Sonne schien, da es fast Mittag war, steil von oben in leichtem Gegenlicht und zwischen Eingangstor und Kirche lag ein sehr schön gepflegter Rosen- und Blumengarten. Sie ist 1895 erbaut worden und diente während der Sowjetzeit als Club und als Warenlager. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs wurde sie restauriert und ist heute wieder in Gebrauch.

Orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit im Birkenwaldstück

Als ich den Innenraum betrat fand gerade eineTaufe statt. Die drei Kinder, ein Neugeborenes, ein Kleinkind und ein etwa dreijähriger Junge, waren nackt und der Priester segnete sie während sie von ihrem Vater auf dem Arm gehalten wurden. Die Eltern mit ihren Kindern sowie einigen Verwandten standen in einem Halbkreis vor dem Altar. Es war eine sehr schöne Szenerie, die ich gern fotografiert hätte. Aber wie in allen Gotteshäusern in Zentralasien ist das Fotografieren nicht erlaubt. So beobachtete ich die Situation aus gebührender Distanz und ging nach der Zeremonie still wieder hinaus.

Details an altem Wohnhaus

Draussen war gerade eine Gruppe malaysischer Touristen angekommen, die sehr damit beschäftigt waren, im Gegenlicht Selfies zu machen und am Ende vor der Kirche posierten.

kunstvolle Holzarbeiten

Nicht sehr weit von der Kirche entfernt lag die Dunganen Moschee, die 1907 bis 1910 vollständig ohne metallene Nägel erbaut worden ist. Die Dunganen sind eine muslimisch-chinsische Minderheit, die einen eigenen Dialekt sprechen. Sie verliessen China Ende des 19. Jahrhunderts nach den Dunganen-Aufständen, bei denen schätzungsweise über 10 Millionen Menschen ums Leben kamen und die von wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen chinesischen und muslimischen Arbeitern ausgelöst worden waren.

malaysische Touristengruppe in Pose

Die Moschee ist sehr einfach gehalten. Ein kleines Holztürmchen mit viereckigem Grundriss steht naben dem Hauptgebäude. Die Aussenmauern beider Gebäude sind in einem sehr schönen Blau gestrichen, das wunderbar mit dem stahlblauen Himmel über Karakol an diesem Tag harmonierte. Die Holzarbeiten sind sehr kunstvoll und weisen viele geschnitzte Verzierungen auf. Es ist kaum zu glauben, dass das gesamte Gebäude ohne einen einzigen Metallnagel gebaut worden war – scheinbar beherrschten die Erbauer die Kunst der Holzverbindungen perfekt.

Dungamen-Moschee mit blauem Minarett

Auf meinem weiteren Spaziergang durchquerte ich zwei Parks und kam vor dem Regierungsgebäude der Provins Karakol vorbei, wo überall Statuen von wichtigen Persönlichkeiten aufgestellt sind. Der Personenkult, ein Relikt aus Sowjetzeiten, ist nach wie vor allgegenwärtig und die Statuen sind meist in heroischen Posen in Metallguss oder Stein gearbeitet. Viele dieser Helden müssen ihre Verdienste im zweiten Weltkrieg erlangt haben, denn der grösste Teil ist in den Kriegsjahren gestorben. Einige wurden keine Dreissig Jahre alt! Und ich fand nur eine einzige Frau unter den vielen Statuen und Büsten.

auch hier: kunstvolle Holzarbeiten...alles ohne Metallnägel

In einem Park, wo ein Springbrunnen sein kühlendes Nass versprüht, badeten drei Jungs und spielten mit dem Wasser während die Gärtner aus dem Brunnen Wasser für die Bewässerung der Blumenbeete entnahmen. Auf dem angrenzenden Platz wurde ein Podest mit modernster Technik für ein Fest aufgebaut – ich konnte allerdings nicht in Erfahrung bringen, um welches Fest oder Jubiläum es sich handelte.

Wasserspiele im Park

Im zweiten, grossen Stadtpark, wo sich das Siegesmonument für den zweiten Weltkrieg befindet, dessen ewige Flamme schon vor Jahren erloschen sein muss und die riesige Mutter-Russland-Statur nicht mehr beleuchtet, stehen viele goldene Büsten von Presönlichkeiten, die mich ein wenig an die Skulpturen von Eva Aeppli im Skulpturengarten von Spoerri in der Toskana erinnerten und ich musste lachen, denn jene gefallen mir in ihrer grotesken Ausarbeitung viel besser als die grimmig dreinblickenden Genossen im Karakoler Stadtpark. Ganz zu hinterst im Park hatte eine Hochzeitsgesellschaft gerade ein Fotoshooting vor einem Monument, das an den mittelasiatischen Aufstand von 1916 erinnerte. Auch hier wurde gegen die Sonne fotografiert – das scheint eine Vorliebe asiatischer Fotografen zu sein.

Siegermonument mit grimmigen Goldköpfen

Als ich wieder im «Nice Hostel» ankam, waren Werner und Lorenz daran, eine Lösung für unser Druckluftproblem zu finden – aber es gab keine Lösung ohne entsprechendes Werkzeug und so müssen wir hoffen, dass wir nicht in die Lage kommen werden, auf den restlichen rund 8000 km die Differentialsperren einschalten zu müssen. Da wir diese aber bisher noch nicht benötigt hatten, stehen unsere Chancen gut.

Plastikblumenläden vor der orthodoxen Kirche

Scheinbar geht es Lorenz wie mir, was die Sättigung an Erlebnissen angeht, denn er kam anschliessend mit dem Vorschlag, Karakol, resp. den morgen stattfindenden Vieh- und Pferdemarkt als Wendepunkt unserer Reise zu sehen und uns auf die Heimreise zu begeben. Das bedeutet, dass wir von Karakol nach Kasachstan (Semei) nach Russland fahren werden und dort über Барнаул (Barnaul), Новосибирск (Novosibirsk), Омск (Omsk), Челябинск (Tscheliabinsk), Уфа (Ufa) und Самара (Samara) in die Ukraine (Kiev) fahren werden. Von dort über Polen, Tschechien und Deutschland in die Schweiz zurückkehren werden. Das sind laut Tante Google rund 8100 km.

gepflegtes Blumenbeet und orthodoxe Kirche

Ich war sofort einverstanden, obwohl damit ein Teil unserer ursprünglichen Idee verloren geht. Aber da unser Plan nie in Stein gemeisselt war und wir immer für Veränderungen offen waren, passt diese Planänderung sehr gut ins Konzept der Reise im Rahmen von «Fahr-East». Wir sind im Fernen Osten angekommen und haben sehr viel gesehen, haben einige Länder bereist und viele Kilometer durch verschiedenste Landschaften zurückgelegt. Für mich war es die erste so grosse Reise und ich war nicht gefasst auf die Abermillionen von Eindrücken, die auf mich einwirken würden. Lorenz ging es trotz seiner grösseren Reiseerfahrung wohl ähnlich.

monochrome Impression von der Dunganen-Moschee

Irgendwann wird jeder noch so spektakuläre Berg, jedes noch so romantische Tal, jede noch so herausragende Landschaft zu einer Wiederholung von etwas bereits Erlebten und verliert allein deshalb auch ein wenig an Reiz. Wir wollen das bisher Erlebte nicht durch Wiederholungen verwässern lassen und wollen auch unsere Aufnahmefähigkeit nicht überstrapazieren. Wenn das Gefühl, genug und mehr als genug erlebt zu haben und das Erlebte zuerst einmal sacken lassen zu müssen, ist Zeit umzukehren. Und dieser Zeitpunkt ist – erstaunlicherweise – bei uns beiden etwa zum gleichen Zeitpunkt gekommen.

auch der Himmel macht mit beim monochromen Farbenspiel

Wir wollen auch nicht, nur weil wir jetzt so nah am Altai-Gebirge oder an der Mongolei oder am Baikalsee oder an China oder an irgendeinem anderen wunderbaren Ort sind, auch noch dorthin und hierhin fahren...es gäbe in all den bisher besuchten Ländern und auch rundherum noch Tausende und Abertausende wunderbarer Orte zu entdecken, jedoch sprengt die Vielfalt und die schiere Grösse dieses Erdteils unser geistiges Fassungsvermögen.

Dunganen-Moschee mit Rosengarten

Lieber kehren wir zu einem Zeitpunkt um, zu dem wir noch zufrieden und glücklich über viel Schönes und Unvergessliches sind als dass wir uns in einem fixen Plan verrennen und am Ende zerschlagen und übermüde in eine uns fremd gewordene Heimat zurück kehren.

der letzte Film spielte vor Jahren im örtlichen Kino

Natürlich werden wir nicht schon übermorgen zurück in der Schweiz sein, sondern werden die verbleibenden über 8000 km genauso verantwortungsbewusst und sorgfältig zurücklegen wie wir bisher gefahren sind. Wir werden vor allem auf den russischen Transitstrecken, die hoffentlich so gut ausgebaut sind wie wir immer wieder hören, grosse Tagesetappen zurücklegen. Dort wird aber das Durchschnittstempo höher sein und wir werden uns in den unendlichen Wäldern Sibiriens, wo links und rechts der Strasse nichts als Bäume – meist Birken – stehen, abwechselnd und mit ausgiebigen, professionellen Pausen wie richtige Lastwagenfahrer bewegen.

die Touristen-Information unter Renovationszwang

Selbstverständlich wird es bis zur Rückkehr weiter Blogeinträge geben, wenn immer möglich täglich und hoffentlich spannend und lustig und mit einem möglichst grossen Informationsgehalt...ganz im Stil der bisherigen Tagesberichte.

pittoreske Parkbank

Angestrebtes Ankunftsziel in der Schweiz ist Ende Juli, was wir aber nicht um alles in der Welt erreichen müssen, denn die Sicherheit und Unversehrtheit geht vor.

Persönlichkeiten in vielsagender Pose

Heute Abend wir Vreni noch einmal ihre leckeren Spaghetti kochen und wir werden einen weiteren gemütlichen Abend mit den zwei Ducatisti verbringen.

auch zerfallende Gartentore haben ihren (fotografischen) Reiz


Freitag, 28. Juni 2019

28. Juni 2019 | Каракол (Karakol) (KG) | 30 km | Ruhe- und Badetag

Heute schmeckte der Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker irgendwie besonders gut. Vielleicht lag's auch am kross getoasteten Brot, auf dem die Butter innert Sekunden schmolz und durch die Luftblasen auf die Hand floss oder an der leicht rauchigen Konfitüre aus Georgien, die Lorenz von Nari, der Frau von Zurab, dem er den Anhänger geschenkt hatte, erhalten hatte. Oder aber es lag an der Morgensonne, die hier auf 1800 m.ü.M. so lieblich und trotzdem stark scheint.

Ich weiss es nicht. Er schmeckte einfach gut.

Da Nachdenken in einem Motivationstal, wie ich es gestern Abend erlebt hatte, nicht viel bringt und mir der Schlaf ausgesprochen gut getan hatte, begann ich diesen Tag mit einem Lächeln im Gesicht und freute mich darauf, mit Vreni und Lorenz an den Yssyköl-See zum Baden zu fahren.

Zuerst mussten aber ein paar Einkäufe erledigt werden, was in einer Stadt wie Karakol gar nicht so einfach ist. Die Städte hier haben gar kein richtiges Zentrum und man muss sich ein wenig durchfragen um einen Supermarkt oder den Basar zu finden. Wir zogen zu viert vom Hostel, in dem Vreni und Werner residieren und vor dem wir den Muni in der breiten Strasse komfortabel haben parken können, Richtung des vermeintlichen Zentrums los und fanden sogar eine Gegend, wo Läden vorhanden waren. Die meisten dieser Läden sind aber SIM-Karten-Shops, Mobiltelefon-Läden oder Geschäfte mit Unterhaltungs- oder Haushaltelektronik...Esswaren sind echt schwierig zu finden. Lorenz und Werner entschieden nach ein paar Minuten des ergebnislosen Suchens, in einem Restaurant etwas trinken zu gehen während Vreni und ich uns auf die Suche nach Essbarem machten.

Die erste Idee, in einem Touristen-Informations-Laden nach dem Weg zu einem Supermarkt zu fragen, stellte sich als nicht zielführend heraus, denn der junge Angestellte sprach kaum Englisch und konnte scheinbar nicht Karten lesen, denn er fand auf Google-Maps nicht einmal seinen Laden, geschweige denn einen Lebensmittelladen.

Eine Frau, die wir anschliessend fragten, wo ein Supermarkt oder ein Basar sei, zeigte uns den Weg, da sie auch zum Basar gehen musste. Die Menschen sind hier generell sehr hilfsbereit und scheuen sich auch nicht, einen Umweg zu gehen um einem einen Weg zu zeigen. Oft wird man auch angesprochen wenn man etwas verloren an einer Strassenecke steht.

Beim Basar kauften wir eine Wassermelone und in einem Supermarkt deckten wir uns mit dem Nötigsten ein – Vreni hatte uns für den Abend zu Spaghetti eingeladen.

Als wir Lorenz und Werner im Restaurant wieder trafen hatte sich schon ein kleiner Hunger eingestellt und so bestellten wir alle einen Salat. Die verschiedenen Salate sahen nicht nur sehr gut aus sondern schmeckten auch mindestens so gut.

So verköstigt und mit Einkäufen beladen spazierten wir zurück zum Hostel und machten uns bereit für den Strandausflug. Wir wollten mit dem Muni zum etwa 15 km entfernten Strand – Karakol liegt nicht unmittelbar am See – fahren. Da in der Kabine nur zwei Personen Platz haben musste/durfte ich die Fahrt im Shelter verbringen und legte mich gemütlich auf mein Bett während Lorenz den Lastwagen durch die Stadt steuerte. Der Blick aus dem Seitenfenster war etwas ganz anderes und ich genoss es, für einmal einen anderen Blick auf die vorbeiziehende Stadt und Landschaft zu haben.

Der vergleichsweise kleine Strand an einem ziemlich schmalen Arm des Sees zwischen Seeufer und der Halbinsel bei Karakol, war bereits gut besucht. Es standen viele Sonnenschirme schräg gegen den angenehm frischen Wind im Sand und die Menschen lagen auf ihren Strandtüchern, tummelten sich im Wasser oder spielten Ball am Strand. Das Bild, das sich uns bot war kaum von dem eines Strandbades irgendwo in Europa zu unterscheiden – ausser dass die Leute eine andere Physiognomie haben.

Das Wasser war erfrischend kühl, was ich an den Füssen, mit denen ich hinein stand, deutlich spürte. Leider hatte ich keinen Neopren-Anzug dabei, so dass ich mich als bekennender Warmbader leider nicht ganz ins kühle Nass begeben konnte. Aber eine Abkühlung war auch gar nicht notwendig, da bereits der Wind genügend kühlte um sich wohl zu fühlen.

Es war ein gemütlicher und angenehmer Nachmittag am See. Wir redeten, spielten Backgammon, sonnten uns und dösten ein wenig.

Die Rückfahrt ging genau gleich vonstatten wie die Hinfahrt – ich lag auf meinem Bett und Vreni und Lorenz sassen in der Kabine.

Das Abendessen schmeckte vorzüglich und wir genossen den Abend auf Schweizerdeutsch sehr.

Fotos habe ich heute keine gemacht und so gibt es zum ersten Mal kein Bildmaterial, das diesen kurzen und einfachen Bericht untermalt.

Da heute in der Nordwestschweiz die Sommerferien beginnen möchte ich allen LehrerkollegInnen, «meinen» ehemaligen SchülerInnen und vor allem meiner Tochter Meret und meiner Partnerin Susanne zum Abschluss des Schuljahres gratulieren und wunderschöne, erholsame und erlebnisreiche Schulferien wünschen. Ihr habt euch diese Ferien redlich verdient und ich hoffe, ihr könnt sie auch in vollen Zügen geniessen!

...auch Fahrten zum Badestrand werden aufgezeichnet

Donnerstag, 27. Juni 2019

27. Juni 2019 | Чолпон-Ата (Tscholponata) - Каракол (Karakol) (KG) | 152 km

Das Aufstehen heute war kurz, früh und schmerzlos. Wir mussten nämlich den Standplatz bereits um 7 Uhr verlassen...wahrscheinlich weil der Russe, der uns gestern Abend den Platz auf dem Gelände der Wasserbaufirma zur Verfügung gestellt und die Übernachtungsgebühr von umgerechnet 4 Franken eingestrichen hatte, keine Berechtigung dafür hatte und vom Chef nicht erwischt werden wollte.

Aussicht von der Anhöhe aus

Also standen wir kurz vor Sieben auf, fuhren vom Gelände und stellten den Lastwagen keine 100 m entfernt auf eine kleine Anhöhe, wo wir in Ruhr frühstücken konnten. Natürlich gab's den obligaten Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker und dazu, da ja der Schénératör schon lief, noch feinen Toast.

Weil wir gerade im Schuss waren wollten wir das Luftleck, das seit der letzten Reparatursession in Osh wieder aufgetaucht war, beheben. Wir wussten ja, wo die Luft entwich und kippten voller Elan die Kabine ab und Lorenz zog die Schraube am Regler für die Differentialsperren wieder an...aber oh weh!…diese drehte durch und liess sich nicht mehr zuverlässig festziehen!
Scheinbar war das Innengewinde ausgeleiert. Was der Grund dafür sein könnte konnten wir nur vermuten – es war wohl in erster Linie eine Alterserscheinung und wir vermuteten, dass der Lastwagen wohl bei der Deutschen Armee mehrmals im Jahr zu Übungszwecken einer Wartung unterzogen worden ist und bei diesen vielen Manipulationen das Gewinde nach und nach ausgerissen war.

Wir hatten nun also ein grösseres Problem, denn der Druckluftzugang zu diesem Regelmechanismus liess sich nicht mehr festziehen und es entwich dauernd Luft. Zwar würde der Kompressor diesen Verlust wett machen können – aber ein so grosser Druckluftverlust ist nervend wenn jedes Mal wenn der Motor für ein paar Minuten ausgeschaltet war mehrere Minuten gewartet werden musste bis der Betriebsdruck wieder erreicht war wenn man losfahren wollte.

Die einzige Lösung, die uns in den Sinn kam war, die Druckluftleitung zum Verteiler ganz zu kappen und zu verschliessen. Damit haben wir nun keine Möglichkeit mehr, die Differentialsperren einzuschalten. Diese werden nur im schweren Gelände gebraucht und da wir bisher noch nie darauf angewiesen waren gingen wir dieses Risiko ein. Das normale Fahrverhalten wird dadurch in keiner Weise gestört. Allerdings würden wir ein Problem bekommen wenn wir im Schlamm stecken oder in sehr unwegsamem Gelände unterwegs sein würden. Da wir solchen Situation aber auch bisher immer aus dem Weg gingen und meist auf Strassen fuhren, wo die Differentialsperren nicht eingeschaltet werden mussten, konnten wir uns getrost auf diese Lösung einlassen. Im schlimmsten Fall könnten wir das defekte Teil wieder einbauen und die schwierige Passage mit den verschmerzbaren Druckluftverlust fahren und sie danach wieder ausbauen. Das wäre allenfalls mit einem Zeitverlust verbunden...aber Zeit haben wir ja genügend…;)

Die offene Leitung musste natürlich geschlossen werden um sie vor Staub und Schmutzwasser zu schützen, was wir mit einer Hilfskonstruktion mit Draht machten. Zerftifizierte Lastwagenmechaniker mögen uns diese dilletantische Lösung verzeihen aber es ging im Moment einfach nicht anders.
unsere Hilfskonstruktion zur Sicherung der Schraube

Als wir um 9 Uhr losfuhren, nachdem Lorenz die Wasserqualität mit ein paar Zügen Freistilschwimmens im Yssykölsee getestet und für gut befunden hatte (ich pflege frühmorgens nicht über Gebühr mit Wasser in Kontakt zu kommen...das schadet meinem Teint), meinte er: «Huch, so früh waren wir ja noch nie unterwegs!»

Es lag eine rund 150 km lange Strecke dem See entlang vor uns, die leider keine nennenswerten Besonderheiten aufwies und uns von einem Dorf zum nächsten führte. Zwar waren da immer wieder recht schöne Panoramen in etwa immer der gleichen Konstellation zu sehen – aber wegen des Gegenlichts und der schieren Unmöglichkeit, solche Ansichten wirkungsvoll mit einer Kamera festzuhalten gibt es nur ein Foto davon.

nicht sehr wirkungsvolles Foto des Panoramas Richtung Tienshan-Gebirge

Viel lustiger fand Lorenz meine Foto-Position und ich musste sie noch einmal ohne Kamera in der Hand einnehmen, damit er mich, resp. Meinen Hintern von hinten fotografieren konnte. Ich finde, es sieht eher bescheuert aus...aber er fand's total lustig. Also machte ich ihm die Freude. Freude ist ja etwas schönes..;)

scheinbar lustige Hinter(n)-Ansicht 

Da wir bereits kurz nach Mittag in Karakol abgekommen waren blieb uns ein halber Tag, den wir zum Ausspannen nutzten. Wir stellten den Muni vor das Hostel, in wir dem Vreni und Werner treffen würden und liessen den Nachmittag ruhig angehen.

Gegen Abend kamen die beiden Motorrad fahrenden Innerschweizer an und wir assen etwas später in einem nahen Restaurant gemeinsam mit Sandro, einem Luzerner Radfahrer, der auf dem Weg nach Japan ist, zu Abend.

In dem Restaurant fand eine Feier statt, was sich negativ auf unsere Bestellung auswirkte: die Gerichte kamen einzeln im Abstand von etwa einer Viertelstunde. Aber wir hatten viel zu erzählen und reden, so dass die Verzögerung sich nicht auf unsere Stimmung auswirkte. Ganz anders wurde es als die Musikanlage im Garten, wo wir assen, eingeschaltet wurde und die Feiernden zum Tanzen animiert werden sollten. Die Lautstärke war so gross, dass wir kein Wort mehr verstanden und die Gemütlichkeit ein abruptes Ende nahm.

Während Vreni und Lorenz sich zum Backgammonspielen zurückzogen genehmigten wir drei Anderen uns einen Schwarztee im Hostel und trafen dort zwei Slowenische Motorradfahrer, die von ihren abenteuerlichen Fahrten in der Gegend erzählten. Sie fuhren seit Tagen auf kleinen Strassen und Pässen im Tienshan-Gebirge teilweise gefährliche Routen und kamen so in verlassene Gegenden im Hochgebirge mit atemberaubenden Panoramen und grossartigen Landschaften. Solche Routen sind fast nur mit geländegängigen Motorrädern zu bewältigen, da die Wege zum Teil sehr schmal und mit vielen Hindernissen versetzt sind. Die Fotos, die sie uns zeigten, waren aber sensationell.

Morgen wollten wir eigentlich auf den Pferdemarkt, resp. Viehmarkt...aber dieser findet nicht wie angenommen am Freitag, sondern am Sonntag statt. Das ist in drei Tagen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bis dahin hier, an einem ziemlich uninteressanten Ort, so lange warten will.
Alternativen würden sich – wie das Beispiel der Slowenen zeigt – in der Umgebung anbieten..aber ob diese für uns mit unserem grossen Fahrzeug machbar sind wage ich zu bezweifeln.

Im Moment bin ich etwas hin und her gerissen zwischen gemütlichem und langsamem Verbleiben in der Region und dem Weiterfahren Richtung Kasachstan. Das Verbleiben in der Gegend würde bedeuten, dass wir in ein Tal fahren, einen Pass erklimmen oder am See einen Platz suchen und dort einfach Zeit verbringen würden. Mir kommt es gerade eher als Herauszögern vor denn als Reisen. Auf einem Pass, in einem Tal oder am See sitzen reizt mich gerade gar nicht und ich muss eigentlich auch nicht einfach irgend eine holprige Strasse befahren nur um dort gewesen zu sein und ein weiteres schönes Panorama gesehen zu haben. Man merkt vielleicht, es fehlt mir gerade ein wenig an Motivation, was bestimmt eine Folge der Übersättigung mit schönen Aussichten und schwierigen Strassen zu tun hat. Oder klar ausgedrückt: ich habe es gesehen. Es braucht jetzt eine neue Motivation, etwas, das mich antreibt und mir Lust macht.

Ich hoffe, morgen, nach dem Schlafen, motivierter zu sein.

Motivationsziege?

Mittwoch, 26. Juni 2019

26. Juni 2019 | Рот-фронт (Rot-Front/Bergtal) - Чолпон-Ата (Tscholponata) (KG) | 222 km

Frühstück, resp. Spätstück: Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker, dazu fein knuspriger Toast aus dem kleinen Backofen und georgische Konfitüre...ein Traum!

Dazu das Morgenpanorama der Tien Shan-Gebirgskette, die jetzt südlich von uns liegt und die wir mit den Pässen von vorgestern und gestern überquert haben. Diese rund 2450 km lange und 400 km breite Hochgebirgskette trennt das Ferghana-Tal, in dem Osh liegt, vom kasachischen Steppenland, das nördlich an Kirgisistan anschliesst. Und wir mittendrin.

Start des Spiels: die Reiter reiten aus Distanz zur toten Ziege rechts im Bild

Wir verliessen den schönen Platz inmitten einer Felderlandaschaft gegen Mittag und fuhren wieder zurück Richtung Tokmok. Schon nach wenigen Kilometern, etwa auf der Höhe des Burana-Turms, den wir gestern besucht hatten, sahen wir auf einem freien Feld eine Gruppe von Reitern. Sie spielten den Nationalsport der zentralasiatischen Nomadenvölker, Buzkaschi. Also bogen wir in einen kleinen Weg entlang eines Bewässerungskanals und schauten dem Schauspiel zu.

Reiter in Blau versucht sich das Tier zu greifen

Normalerweise wird dieser Sport im Sommer nicht ausgetragen, da es zu heiß und zu trocken ist. Vor allem die Trockenheit macht den Pferden und den Reitern sehr zu schaffen, weil dadurch der Staub der Steppe aufgewirbelt wird. Heute wurde aber für ein paar koreanische Touristen eine Extraeinlage gegeben und wir durften Zaungäste sein. So erhielten wir einen Einblick in das Spiel, auch wenn es «nur» eine abgespeckte Touristenvariante war.

Reiter ein Gelb nimmt das Tier

Bei diesem Spiel wird eine tote Ziege, manchmal auch ein totes Kalb, auf den Boden gelegt und die Reiter, bewaffnet mit Reitpeitsche, galoppieren mit ihren Pferden auf ein Pfeifzeichen des Schiedsrichters aus Distanz darauf zu und versuchen das tote Tier aufzunehmen und es vor dem Preisrichter abzulegen.

die anderen versuchen es ihm wegzunehmen

Es spielt jeder gegen jeden – es ist also kein Mannschaftskampf, sondern ein Einzelspiel.

Reiter in Gelb reitet davon...

Es sind alle Mittel erlaubt um den Kadaver an sich zu bringen, auch das Schlagen mit der Peitsche auf Pferd und Reiter ist erlaubt.

...Richtung Ziel beim Podest

Normalerweise wird das Spiel in der offenen Steppe ausgetragen und die Zahl der Mitspieler ist nicht definiert. Es soll auch schon Spiele mit mehreren Tausend Reitern gegeben haben.


Auch die Dauer des Spiels ist nicht definiert, sondern es ist erst zu Ende, wenn ein Reiter die Ziege/das Kalb vor dem Preisrichter abgelegt hat. Es soll schon vorgekommen sein, dass solche Spiele mehrere Tage gedauert haben. Wahrscheinlich ist dann einer der Reiter mit der Ziege auf und davon und hat sich gedacht, er reite mal den anderen davon…;)


In der Übungsvariante, die wir sahen, wurde die tote Ziege jeweils auf eine Art Podest gelegt und es gab mehrere Durchgänge in der Kurzen Zeit, in der wir zusahen. Auch gingen die Spieler nicht allzu hart miteinander um und es gab keine Verletzungen.

Im «richtigen» Wettkampf tragen die Spieler Schutzkleidung und einen Helm, obwohl auch das nicht vorgeschrieben ist.

Von Tokmok fuhren wir auf einer perfekten, autobahnähnlichen Strasse dem Grenzfluss Tschüi zu Kasachstan entlang, der uns durch die Boom-Schlucht im Alatau-Gebirge von der Ebene auf rund 1000 m.ü.M. in die Höhe und zum Yssyköl-See auf 1600 m.ü.M. führte. Die Landschaft im Gebirge war sehr karg und Braun war der vorherrschende Farbton. Am Ende der Schlucht öffnete sich das Tal in eine breite Hochebene, in der der Yssyköl-See liegt. Die erste Stadt, die wir erreichten war Balytschky.

In Balytschky besuchte Lorenz die lokale Feuerwache, an der wir zufällig vorbei fuhren...ich nutzte die Zeit um mich nach dem Wohlbefinden meiner hochschwangeren Tochter Meret zu erkundigen und Vreni und Werner zu kontaktieren, die wir am Freitag in Karakol am Westende des Yssyköl-Sees treffen wollen.

Yssyköl-See mit Tien Shan-Gebirge im Hintergrund

Der Yssyköl-See ist mit einer Fläche von 6236 km² der zweitgrösste Gebirgssee der Welt nach dem Titicaca-See (8288 km²) im Altiplano zwischen Peru und Bolivien. Er kann mit ein paar Besonderheiten aufwarten:

Der Salzgehalt beträgt 6 g/kg Wasser – er ist also kein reiner Süsswassersee.

Er friert trotz Lufttemperaturen von bis zu -20 °C im Winter nie. Das kann am Salzgehalt liegen, es werden zur Erklärung auch warme Quellen am Seegrund genannt...wahrscheinlich ist es aber die gute Durchmischung des Seewassers (Tiefenwasser hat immer eine Temperatur von >4 °C) durch die stetig wehenden Winde, die das Zufrieren verhindert.

Der See ist endorheisch, d.h. er besitzt mehrere Zuflüsse aber keinen Abfluss. Das resultiert in grossen Schwankungen des Seespiegels über längere Zeiträume.

In der Sowjet-Ära wurde der See von der sowjetischen Marine intensiv für Tests von Torpedos und Torpedo-Steuerungen genutzt, weshalb lange Zeit ein grosser Teil des Ufers militärisches Sperrgebiet war. Seit 2008 pachtet Russland erneut eine ganze Halbinsel und will die Waffentests wieder aufnehmen.

Die Romane Dschingis Aitmatovs spielen am Yssyköl-See.

Blick Richtung Чолпон-Ата (Tscholponata)

Das Gebiet um den See ist heute touristisch intensiv genutzt und vor allem an der Nordseite reihen sich die Hotelkomplexe und Vergnügungsparks aneinander.

Wir haben etwas ausserhalb der Stadt Чолпон-Ата (Tscholponata) auf dem Grundstück einer russischen Wasserbaufirma einen Standplatz direkt am Wasser gefunden und haben eine grossartige Aussicht auf's Tien Shan-Gebirge am südlichen Ufer des Sees.




Dienstag, 25. Juni 2019

25. Juni 2019 | Суусамыр (Suusamyr) - Рот-фронт (Rot-Front/Bergtal) (KG) | 261 km | le Schénératör est livré

Muni und Pferd im Jurten-Camp mit prachtvoller Aussicht
Das Aufwachen im Turan-Jurten-Camp war zwar nicht anders als sonst auch...aber irgendwie war es trotzdem speziell, denn ich konnte nach dem Aufwachen in die Esszimmer-Jurte gehen und frühstücken, während Lorenz in Ruhe noch ein wenig schlafen konnte...bei ihm nutzt der Schönheitsschlaf eben noch etwas…;)

Das war um 9 Uhr.


Manas, Xoff und Sezim 

Danach zeigten wir den Muni einer kirgisischen Mutter mit ihren vier Kindern, die im Jurten-Camp an der Stutenmilch-Therapie mitmacht. Sie war sehr interessiert an unserem Fahrzeug und beeindruckt von der Innenausstattung des Shelters. Leider konnten wir ihr nicht anbieten, ein Stück mitzufahren, denn für eine Erwachsene und vier Kinder war schlicht kein Platz.

das Turan-Jurten-Camp

Sezim, die Camp-Managerin, fragte uns, ob wir Stutenmilch probieren wollten, denn um 10 Uhr war die zweite Tasse der heutigen Stutenmilch-Therapie fällig. Wir willigten ein, schnappten uns ein Teeglas und gingen zu den Pferden einer Nomadenfamilie mit Zwilingsbuben, die gleich nebenan ihre Jurte aufgebaut hatten und jeweils die Milch frisch ab Stute lieferten. Die Fohlen waren an einem Seil in einer Reihe angebunden und die Stuten kamen jeweils zum Melktermin zu ihren Fohlen. Damit die Stute überhaupt Milch gibt muss scheinbar wie bei den Kamelen das Fohlen anwesend sein.

kleiner Teich im Jurten-Camp mit Reflexion der Bergkette
einer der Zwillings-Jungs

Der Bauer molk die Stuten während seine Frau die Milch verteilte. Jeder erhielt ein Glast voll – Lorenz und ich teilten uns ein halbvolles. Wir nahmen so wenig weil wir einerseits den anderen ihre Therapiemilch nicht weg trinken wollten und andererseits weil wir nur kosten wollten und auch nicht sicher waren, ob ein ganzes Glas unsere empfindlichen europäischen Verdauungssysteme nicht zu sehr in Verwirrung bringen würden.

Fohlen sind angebunden, Stuten kommen dazu

Die körperwarme, frisch gemolkene Milch ist sehr leicht und süsslich und schmeckt ausgezeichnet.
Sezim sagte nachdem wir je zwei, drei Schlucke genommen hatten, dass diese Milch vor allem den Körper reinige und den Verdauungstrakt durchputze. Es sei sicher gut, sich in der Nähe einer Toilette aufzuhalten. Na Dankeschön, dachte ich mir.

Bauer beim Melken
Mamas erhält seine Portion Stutenmilch


Nachdem wir uns von den lieben Menschen verabschiedet und unsere offene Rechnung beglichen hatten starteten wir unsere heutige Fahrt, die uns Richtung Norden und dann nach Osten führen sollte. Ich setzte mich wieder zuerst ans Steuer und bereits nach wenigen Kilometern begann der Anstieg zum Töö-Pass, der sich ziemlich steil mit wenigen Spitzkehren den Berghängen entlang nach oben zog. Mitten im Anstieg erblickten wir zwei Tieflader-Lastwagen, die Hinterteil an Hinterteil aufgestellt waren und wo gerade ein Bagger über die zur Brücke aufgelegten Laderampen umgeladen werden sollte….wahrscheinlich um den einen Lastwagen zu entlasten, weil die Bremsen für die Talfahrt zu schwach waren. (Man sieht immer wieder Lastwagen, die im ersten Gang den Berg hinunter fahren weil wahrscheinlich die Motorbremse defekt ist und die «normalen» Bremsen zu schwach oder abgenutzt sind.) Als der Bagger auf die Brücke aus Laderampen fahren wollte kam der talwärts stehende Lastwagen plötzlich ins Rollen – wahrscheinlich weil die Gewichtsverlagerung die Bremsleistung beeinträchtigte – und begann samt des Baggers bergab zu fahren. Wir befürchteten schon das Schlimmste aber irgendwie gelang es den Chauffeuren, den Lastwagen zu stoppen und so einen fatalen Unfall zu verhindern.

die Schafe der Bauern

man beachte das Aussehen des Schafes rechts oben, das an eine Saiga-Antilope erinnert


Der Töö-Pass führt nicht über den Berg, sondern der oberste Teil ist durch einen Tunnel «geköpft». Dieser Tunnel würde bei uns nicht einmal als Arbeitsstollen für Mineure zugelassen! Die sehr enge Fahrbahn ist durchsetzt mit Schlaglöchern, Autos werden mittels eines Rot-Grün-Lichts «portioniert» und es sind keinerlei Sicherheitsvorrichtungen erkennbar. Trotz der Regelung des Verkehrsflusses müssen sich Fahrzeuge im Tunnel kreuzen, was meist ziemlich schwierig ist, da man kaum ausweichen kann. Ausserdem ist die Disziplin der Autofahrer hier sehr mangelhaft, denn sie wollen trotz Überholverbots überholen, fahren sehr nah auf und blenden mit ihren schlecht eingestellten Abblendlichtern den Gegenverkehr oder haben das Licht gar nicht eingeschaltet. Die Tunnelbeleuchtung ist nur pro forma existent und nicht wirklich hilfreich. Ich war jedenfalls froh, als die fast drei Kilometer im Dunklen vorbei waren!

Nordrampe des Töö-Passes mit Serpentinen

Auf der Nordseite des Töö-Passes winden sich wunderschöne Serpentinen ins Tal, die mit dem Motorrad wunderbar zu befahren wären – ausserdem war die Trasse sehr angenehm und mit wenigen Ausnahmen Schlagloch-frei. Mit dem Muni ging das natürlich nicht so flüssig – hier muss immer in sehr vorsichtigem Tempo gefahren werden, denn die «normalen» Bremsen sollten wo wenig wie möglich benutzt werden, da sie durch das Gewicht des Fahrzeugs extrem beansprucht werden. So rollt man die 8-12-prozentige Steigung mit höchstens 40 km/h im dritten oder vierten Gang hinunter, so dass die Motorbremse, die verschleissfrei und ohne zu ermüden abbremst, auch wirksam eingesetzt werden kann.

Nachdem wir im Tal angekommen waren begann der eher langweilige und verkehrsmässig anstrengende Teil der Fahrt. In der Ebene ist das Verkehrsaufkommen viel grösser und je näher wir der Hauptstadt Bischkek kamen, desto enger wurde es auf den Strassen. Und es gab sehr viele Baustellen, nachdem die ersten paar Dutzend Kilometer auf einer ganz neuen Strasse sehr zügig und angenehm zu fahren gewesen waren. In Bischkek, das wir gar nicht besuchen wollten, da es scheinbar keine nennenswerten Schönheiten zu bieten hat und – wie es Manas im Jurten-Camp ausdrückte - eine Stadt wie jede andere in der globalisierten Welt sei, war der Verkehr wie erwartete sehr lebendig und Lorenz, der sich nach dem super leckeren Mittagessen in einem modernen Restaurant mit chinesisch angehauchter lokaler Küche ans Steuer gesetzt hatte, musste sehr aufmerksam und vorsichtig fahren um die links und rechts überholenden Fahrzeuge nicht zu übersehen.

Ausserdem war heute wohl Radar-Kontrollen-Tag – so viele Radarkontrollen habe ich in meinem Leben gesamthaft noch nicht gesehen! Da wir uns jedoch immer an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten meinten wir nichts befürchten zu müssen. Trotzdem winkte uns ein Polizist hinter der Radarkamera mit seinem wichtigsten Statussymbol, der Kelle, raus und das gleiche Spiel wie immer konnte beginnen: Lorenz ging mit den Fahrzeugpapieren und dem Führerausweis zum Polizeiauto und diskutierte längere Zeit. Als er zurück kam meinte er: «Du glaubst es nicht, aber die wollen 10'000 Com weil unser Nummernschild vorne nicht in der Mitte unten angebracht ist!» Er setzte mit dem Muni zurück, winkte einen Beamten herbei und diskutierte erneut vor dem Corpus Delicti bis dieser einsah, dass das Nummernschild dort wo es laut kirgisischen Recht zu sein hatte gar nicht angebracht werden konnte. Da nutzte auch der Hinweis auf den Paragrafen im dicken auf russisch verfassten Verkehrsgesetzhandbuch nichts und trotzdem musste Lorenz wieder die Pascharnik-Keule («Pascharnik» heissen die Feuerwehrmänner auf russisch) anwenden und sogar noch ein Saggmässer drauflegen. So konnte er die 130-Franken-Busse abwenden, womit sich unsere Ersparnis bei den Bussengeldern auf mittlerweile 13'000 Com erhöhte.

SU 7/17 bei Tokmok

Bei Tokmok (ausgesprochen «Takmak») bogen wir nach Süden ab, nachdem ich die am Ortseingang ausgestellte Su 7/17, ein gefürchteter Kampfbomber aus der Zeit des kalten Kriegs, fotografiert hatte.

Burana-Turm

Unsere nächste Station war Бурана (Burana), wo ein altes, grosses Minarett, der Burana-Turm, steht. Dieses Minarett, das ursprünglich über 40 m hoch gewesen war und durch ein starkes Erdbeben zerstört worden ist, ist heute in restauriertem Zustand noch 21 m hoch. Es soll eines der ersten Minarette in Zentralasien gewesen sein und laut gängiger Meinung zur sagenhaften untergegangenen Stadt Balasagun gehört haben.

Lorenz geniesst die Aussicht - FotoXoff als Schatten dahinter

Heute kann man den Turm besteigen, was ziemlich abenteuerlich ist, denn die Treppe ist extrem steil und die Stufen sind sehr hoch.

Aussicht auf die Stein-Ausstellung
Burana-Turm vom Fuss aus

Von oben hat man eine gute Aussicht ins Tal des Flusses Tschüi (ja, der heisst wirklich so!) und auf die Ruinen der ehemaligen Stadt.

weibliche Steinfigur

Neben dem Turm liegen eine Anlage mit Steinen, ein Hügel, einige restaurierte Teile der Stadt, ein kleines Museum und ein Souvenirshop.

etwas phallisch geratene männliche Steinfigur

Mich hat besonders die Ausstellung der Steine fasziniert, denn es sind verschiedene Arten von bearbeiteten Steinen zu sehen. Zum einen sind Steinfiguren ausgestellt, die in der tief stehenden Abendsonne besonders zur Geltung kamen.

Steinritzzeichnungen der nomadischen Kirgisen

Dann hat es auf grosse Kiesel geritzte Zeichnungen, die von den Nomaden im Tien Shan-Gebirge traditionellerweise angefertigt werden und es sind auch ein paar sehr schöne Grabsteine mit arabischen und kirgisischen Inschriften aufgestellt.

Grabstein

Die vierte Gruppe sind bearbeitete Steine zur Verrichtung von Arbeiten, so hat es verschiedene kunstvoll bearbeitete Mühlsteine, Quetschsteine und grosse Gewichtssteine.

kunstvoll gearbeitete Arbeitssteine

Balasagun wurde von den iranischstämmigen Sodgiern, einem Volk das seit dem 4./3. Jahrtausend v. Chr. eine starke Rolle im Gebiet zwischen den Flüssen Syrdaria und Amudaria (westliches Kirgistan, Tadschikistan, östliches Usbekistan) in der Kontrolle der Handelswege (Seidenstrasse) spielten, gegründet und erstmal im Jahr 912 n.Chr. schriftlich erwähnt. Die Stadt wurde in der zweiten Hälfte des 10. Jhrh. von den türkischen Karachaniden eingenommen und zu deren Hauptstadt erkoren. Mitte des 12. Jhrh. wurde sie von den Kara Kitai, die vor dem Einfall von Dschingis Khan ein Grossreich in Zentralasien führten, eingenommen und ebenfalls zu deren Hauptstadt gemacht. Dschingis Khan nahm die Stadt 1217 ein. Danach verlor sich die Bedeutung der Siedlung. 2014 wurden die Ruinen der Stadt als Bestandteil des seriellen Weltkulturerbes der Seidenstrasse von der UNESCO gewürdigt.

Muni und französisches Reisemobil

Auf dem Parkplatz trafen wir ein französisches Paar, das mit seinem Reisemobil unterwegs ist.


Nur wenige Kilometer südlich von Burana liegt der Ort Рот-фронт (Rot-Front/Bergtal), wo wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatten.
Рот-фронт aus der Ferne

Рот-фронт (Rot-Front) ist eine ehemals Deutsche Siedlung, die 1927 als Бергтал (Bergtal) von 25 Familien landlosen deutschsprachigen Russenmennoniten gegründet und 1931 in Рот-фронт umbenannt worden ist. Diese 25 Familien stammten aus dem Talas-Tal, das im Norden Kirgisistans und im Süden Kasachstans liegt. Sie mussten ihre Dörfer (Köppental, Gnadental, Gnadenfeld, Nikolaipol) aus Landmangel verlassen.
Die Mennoniten wurden Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Gebiet der Wolga aus Landmangel umgesiedelt nachdem einige Familienväter ausgehandelt hatten, dass ihre Söhne keinen Militärdienst in der Armee des Zaren leisten mussten wenn sie sich bereit erklärten in den äussersten Osten des Reichs umzusiedeln. Da nicht genügend Land vorhanden war und keines zugepachtet werden konnte mussten einige Familien neue Ländereien erschliessen um zu überleben.
Vor dem und im zweiten Weltkrieg starben viele «Russlanddeutsche» unter der Zwangsarbeit in der Trudarmee und nach dem Krieg erholte sich das Dorf nur langsam. In den 60er und 70er Jahren begann der Aufschwung und in den 80ern konnten viele einen Ausreiseantrag stellen, da sie noch Verwandte in Deutschland hatten. Heute leben noch etwa 150 Deutschstämmige im Dorf….wir haben heute mit einem von ihnen geredet. Ihre Deutsche Sprache nennt man «Plautdietsch».

le Schénératär

ausgeliefert!

Unsere Aufgabe war, Johannes, einem Deutschen der in Рот-фронт den vergangenen Winter verbracht hatte, einen Stromgenerator zu bringen, den wir aus der Schweiz mitgebracht hatten. Das Gerät, ein etwa 80 cm breiter, 50 cm tiefer und 40 cm hoher «Klotz» mit einem Gewicht von rund 40 kg, haben wir durch 13 Länder geschmuggelt ohne dass je ein Zollbeamter wissen wollte, was es ist. Heute konnten wir es einem Freund von Johannes, resp. dessen Frau, ausliefern und damit unseren Auftrag abhaken.

wohlverdiente Bier zum Sonnenuntergang

Da die Sonne schon sehr tief stand und wir von der langen Strecke müde waren, suchten wir uns gleich neben dem Dorf einen schönen Platz zum Übernachten, den wir neben einem Feldweg etwas abseits der kleinen Verbindungsstrasse fanden. Es reichte gerade um die Campingstühle aufzustellen und ein wohlverdientes kühles Bier aus dem Dorfladen zum Sonnenuntergang zu trinken bevor es kühl (wir sind auf einer Höhe von etwa 100 m.ü.M.) und dunkel wurde. 

Muni vor dem Tien-Shan-Gebirge

Rot-Front im wahrsten Sinn des Wortes

Fischaugenperspektive auf den Abendhimmel


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