Voraussichtliche Reisedaten

Samstag, 8. Juni 2019

8. Juni 2019 | Кальаи хумб (Kalaikhum) - Zusammenfluss Panj und Vanch (TJ) | 81 km

Was für eine Tagesetappe! Die wenigen Kilometer, die wir heute gefahren sind, waren die schwierigsten bisher. Aber alles von vorne.

Ein kurzes, kleines Frühstück – natürlich nicht ohne den geliebten Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker! - musste reichen, denn wir hatten zu lange geschlafen und wollten doch vorwärts kommen. Rasch war alles verstaut und verpackt und ich setzte mich ans Steuer, startete den Motor und fuhr in gemächlichem Tempo los...mehr liess die Strasse nicht zu.

Piste entlang des Abe-e-Panj
Aus der holprigen Strasse wurde eine noch viel holprigere Steinpiste, während das Tal immer enger wurde und die Trasse bald nur noch einspurig den steilen Felswänden entlang verlief. Leider regnete es heute fast den ganzen Tag, so dass die grossartigen Felswände, der rauschende, wilde Fluss und auch die Dörfer längst nicht mehr so malerisch und spannend aussahen, sondern im Grau eines trüben Tages ein wenig ihrer Schönheit verloren. Die Piste wurde immer schwieriger zu befahren, denn der ehemals vorhandene Belag aus Asphalt war an vielen Stellen wegen Bergstürzen und den harschen Wetterbedingungen gar nicht mehr vorhanden oder war mit tiefen und auf die ganze Breite verteilten Löchern durchsetzt. Zusätzlich erschwerten die grossen Steine, die in den Belag eingelassen oder eingedrückt waren, das Fahren und entsprechend rumpelte es auch bei sehr langsamer Fahrt.

Als wir nach der ersten halben Stunde bloss 8 km gefahren waren wurde uns klar, dass wir heute nicht weit kommen würden. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von – über den ganzen Tag gerechnet – 15 km/h war es eine Schleichfahrt.

Susanne fährt voraus
Nach etwa 25 km trafen wir Susanne – wir hatten sie gestern Abend schon gesehen - in einem Mercedes-Reise-LKW an und fuhren ab dann hinter ihr her. Sie ist eine erfahrene Fahrerin und begleitet Thomas, ihren Mann, und ein paar andere Motorradfahrer mit dem Lastwagen. Ihr Tempo und ihr Fahrstil bestätigten uns, dass wir eigentlich alles richtig gemacht hatten und es gar nicht möglich war, schneller vorwärts zu kommen. Das gemächliche Tempo über die schmale Piste, immer hart am Abgrund und manchmal fast gefährlich nah an Stellen, von denen wir nicht wussten, ob sie das Gewicht des Lastwagens halten würden, war richtig und wichtig.

steile Talfahrt
Thomas wartete immer wieder auf seine Begleiterin und gab Tipps – er kam mit seiner BMW F800 GS – dem neueren Modell des Töffs, den wir in Georgien verschenkt hatten – viel schneller als wir voran und konnte 50-60 km/h fahren. Auch Autos, meist geländegängige Landcruiser oder ähnliche, kamen auch viel schneller als wir voran. Und selbst die Lastwagen, die Waren transportierten, überholten uns, resp. liessen wir an breiten Stellen passieren...allerdings fuhren diese einfach ohne Rücksicht auf Material und Ladung über die Strecke. Ich fragte mich oft, wie die wohl an den besonders heiklen Stellen und schmalen Abschnitten vorbei kamen – scheinbar stürzen auf dieser Strecke viele Autos und auch Lastwagen in den Abgrund und in die reissenden Fluten des Abe-e-Panj. Diese Autos werden nie wieder gefunden und die Insassen sind unweigerlich verloren. Susanne sagte uns später, dass dort Hunderte von Autos schon abgestürzt und mindestens ebenso viele Menschen zu Tode gekommen seien.

Wir wollen es natürlich nicht so weit kommen lassen und fahren deshalb äusserst vorsichtig. Ausserdem geben wir grosse Sorge zu unserem Gefährt, denn eine Panne in dieser Gegend, wo Garagen sehr selten sind, ist absolut nicht unser Ziel.

Chaos im Shelter
Als wir in einem Dorf eine kurze Pause machten und Lorenz ein paar Snacks kaufte, holte ich Obst und Brot aus dem Shelter. Bei Öffnen der Tür zeigte sich mir ein Bild der Verwüstung: durch die Schaukelbewegungen des Fahrzeugs auf der Strecke hatten sich mehrere Kästen geöffnet und der Inhalt derselben hatte sich auf dem Boden verteilt. Teller waren zerbrochen, das Besteck lag verstreut umher, die Eismaschine hatte sich aus dem Schrank gedrängt und überhaupt war ein Riesenchaos. Ich liess vorerst alles wie es war – es sollte am Abend aufgeräumt werden, denn wir würden zu viel Zeit dmit dem Aufräumen und wollten noch ein wenig vorwärts kommen.

Der Regen machte die Fahrbahn rutschig und weichte den Untergrund auf, was nicht gerade zur Sicherheit beitrug. Um 17 Uhr, nach nur 81 km, hatten wir genug und als wir an einen wunderschönen Platz am Zusammenfluss der Flüsse Abe-e-Panj und Vanch auf einer riesigen Sandbank einen geeigneten Platz fanden, entschlossen wir uns, bereits Feierabend zu machen und am nächsten Tag mit neuer Energie weiter zu fahren. Susanne und Thomas fuhren noch etwas weiter, um näher an den Motorradfahrern zu sein – sie unternehmen diese Reise professionell und begleiten als Reiseveranstalter Motorradreisen, müssen also gezwungenermassen eine gewisse Anzahl km fahren um ihrer Aufgabe nachkommen zu können.

Susanne, Thomas, Lorenz und unsere Fahrzeuge
Während ich die Fotos und einen kleinen Film bearbeitete und diesen Bericht schrieb räumte Lorenz den Shelter auf und versuchte, die Schäden am Unterschrank zu beheben, die durch die gewaltsame Öffnung der Türen und das Gewicht der umherfliegenden Dinge entstanden waren. Zum Glück ist nicht viel kaputt gegangen...zumindest haben wir noch zwei Teller für's Abendessen.

Ich hatte vergessen, unsere Routenwahl zu erklären, denn der Bogen von Duschanbe nach Süden und dann eine lange Strecke entlang der Grenze zu Afghanistan war so nicht geplant. Aber wegen der Unwetter in den letzten Tagen war die direkte Strasse nach Kalaikhum nicht befahrbar...ausserdem wäre sie eh viel schlechter gewesen als der komfortable Berg-Highway den wir geniessen durften. Dass die Strecke von Kalaikhum nach Khorug, wo wir uns im Moment befinden, in einem schlechten Zustand sein würde, war uns klar.
Heute haben wir uns entschlossen, den ursprünglichen Plan, den Wakhan-Korridor von Khorug ganz nach Süden entlang der afghanischen Grenze – eine Strecke von über 600 km! - nicht zu befahren, sondern ab Khorug den sogenannten Pamir-Highway nach Osten bis nahe an die chinesische Grenze zu nehmen. Diese Strecke ist scheinbar gut zu befahren, während der Wakhan-Korridor in einem etwa gleich schlechten Zustand wie die heute befahrene Piste sein soll. Dafür brauchen wir mit unserem Fahrzeug viel zu lange und die Landschaft dürfte ähnlich sein wie bisher entlang der Grenze. Es ist ja auch der gleiche Fluss.
Die Dauer der Fahrt ist insbesondere wichtig, weil man mit einem Fahrzeug nur 15 Tage in Tadschikistan bleiben darf, ansonsten eine Busse oder andere Konsequenzen (niemand kann glaubhaft erklären, welches diese Konsequenzen wären) fällig seien. Das Visum ist zwar 45 Tage gültig, das Fahrzeug darf aber nur zwei Wochen im Land bleiben. Komische Regelung, die man nicht verstehen muss und wohl auch nicht kann.

Abendstimmung am Zusammenfluss von Abe-e-Panj und Vanch
Ich kann allfällige Bedenken was die Nähe zu Afghanistan angeht definitiv entkräften. Zum Einen ist zwischen Tadschikistan und Afghanistan dieser reissende, wilde und unüberwindliche Fluss Abe-e-Panj, dem wir seit Tagen folgen. Da sind bisher nur drei Brücken, die jedoch streng bewacht werden und wo niemand ohne ausführliche Kontrolle passieren kann. Zum Anderen ist Afghanistan – vor allem in der Gegend, wo wir uns befinden – absolut kein gefährliches Land und die gefürchteten Taliban oder wie man die «Krieger» dieses Landes auch immer nennen will, tauchen hier, wo niemand sie bekämpft, gar nicht auf. Die Afghanen sind wie alle Völker hier friedlich und gehen ihren eigenen Geschäften nach. Die haben genug damit zu tun, zu überleben, ihre Äcker zu bestellen, die Dörfer instand zu halten und ihr einfaches Leben zu führen...gegen Touristen, die auf der anderen Seite des Flusses entlang fahren, haben die absolut nichts. Ausserdem würden sie grösste Probleme bekommen, wenn sie uns angriffen, beschössen oder sonst etwas antun würden, denn dadurch kämen sie in den Fokus derer, die sich in dem gebeulteten Land als Wächter von Ordnung und Recht aufspielen und mit ihrer Präsenz - wie überall, wo sie meinen, das tun zu müssen - mehr kaputt machen als Gutes tun. Die Afghanen wissen ganz genau, dass der Finger eines Soldaten am Joystick, mit dem er Kampfdrohnen steuert, viel zu locker sitzt als dass sie es darauf ankommen liessen und irgendwelche Touristen beschössen.
Es besteht also keinerlei Sorge, dass wir in irgendeiner Form unter der unsäglichen Entwicklung der Dinge in Afghanistan leiden würden...das Überqueren eines Fussgängerstreifens in einer Schweizer Stadt ist um ein Vielfaches gefährlicher als unser Aufenthalt hier im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Afghanistan.

Felder in Afghanistan
Wenn ich – wie jetzt gerade – über den Fluss schaue, die einfachen, von Steinmauern begrenzten und von der unter der Wolkendecke hervor scheinenden Sonne beleuchteten Felder an den Hängen in Afghanistan sehe, den Menschen «dort drüben» beim Waschen ihrer Wäsche zuschaue oder Kinder am Fluss beim Spielen zuschaue, so merke ich, wie falsch und einseitig wir in Europa informiert werden und wie gleich die Bedürfnisse der einfachen Menschen überall auf der Welt sind: sie wollen alle in Frieden leben und ihren Alltag so gut und gesund wie möglich bestreiten.

Das ist diesseits und jenseits der Grenze so.



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