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Montag, 17. Juni 2019

17. Juni 2019 | Ош (Osh) (KG) | Stadttag

Der Schwarztee in dem кофейня («Kafeinia» oder wie hier salopp für ein Kaffeehaus einfach: Кофе, «Kafe») in der Strasse, wo unser Hotel liegt, war zwar nicht ganz so lecker wie derjenige, den ich in meinem Pfännchen und mit meinen Spezialzutaten zu brauen pflege...aber besser als gar nichts oder als schnödes Wasser war er allemal. Dazu gab's Pfannkuchen mit Сметана («Smetana», einer Art cremiges Joghurt), sowie einen süssen Griesbrei mit einer Butterflocke...alles sehr lecker. Eigentlich wollten wir im Hotel frühstücken, aber da war heute gerade Desinfektionstag, d.h. das Restaurant war geschlossen weil sie all das Ungeziefer loswerden wollten, das da herum kreucht und fleucht...nein...kleiner Scherz...diese regelmässigen Desinfektionstage verhindern eben, dass da irgendetwas gedeiht, was nicht gedeihen sollte...wir haben jedenfalls bisher an keinem Ort Kakerlaken, Speckkäfer, Schmeissfliegen oder irgendwelche unappetitlichen Maden wahrgenommen (ausser dem Würmchen in der einen Aprikose...aber das werte ich eher als Zeichen für einen geringen Schädlingsbekämpfungsmittelverbrauch, was mir als Ökofutzi lieber ist als klinisch reines Obst...lol)

Für mich stand heute eine Stadtwanderung auf dem Programm – Lorenz wollte die örtliche Feuerwehr heimsuchen.

Muni vor dem Hotel «Biy Ordo»

Mein erstes Ziel war der «Black Market» in unserer Strasse, der Масалиева («Masalieva»). Ich konnte mir unter der Bezeichnung nur einen illegalen Markt vorstellen, wo von Handgranaten bis Heroin, von jungen, knackigen Mädchen bis Schneeleopardenpenissen alles verkauft würde, was sonst nicht einmal unter einen Ladentisch passt. Aber ich hatte weit gefehlt!

Das «Black» in der touristischen Bezeichnung bezog sich wahrscheinlich auf die Tatsache, dass es auf diesem Basar eher düster ist und die Gassen zwischen den in Reihen aufgestellten Schiffs-Containern in einer Art Halle ohne Tageslicht wie eine verbotene Handelsstadt erscheinen.
Sind die Container geöffnet, die Lichter eingeschaltet und die Verkaufsware so vorteilhaft wie möglich ausgestellt, so unterscheidet sich der «Black Market» kaum von einem anderen Markt in einer zentralasiatischen Stadt. Es hat Tausende von verschiedenen Schlappen und Hüten, Unterwäsche für jeden Arsch, Socken in den schrecklichsten Designs, Hosen, Jupes, Kleider...aber auch Änderungsschneiderinnenateliers, Schumacherbuden, Modistenkartausen, dazwischen Kleinkramläden, кофейни (das ist der Plural von кофейня) und Шашлик (Schaschlik-Grills) sowie viele verschiedene andere Angebote, die den Ort zu einem Paradies für Shoppingwillige und Kuriositätensucher macht.
Heute habe ich die Kamera im Basar in der Tasche gelassen, weil ich unbeschwert und ohne Ablenkung durch das Gewirr von Ständen, Regalen, Containern und Buden schlendern und die Eindrücke einfach aufsaugen wollte.
Sehr angenehm ist, dass ich nicht wie in anderen Basaren – z.B. in den Ladenstrassen in Marrakesch oder dem Teppich-Basar in Tunesien – von Schleppern und Heilsversprechern zum Betreten ihres allerbesten aller Läden genötigt wurde, sondern meine Kreise und Schlenker unbehelligt und in Ruhe ziehen konnte. Wahrscheinlich fragten sich die Verkäuferinnen und Besitzer, was dieser bleichgesichtige, alte Bartträger mit dem UNO-T-Shirt und dem gelben Rucksack wohl hier wolle.

der Fluss Ak-Buura

Das rechteckige Innenstadt-Quartier, an dessen südöstlichen Ende sich unser Hotel günstig gelegen befindet, ist recht übersichtlich und in Nord-Süd-Richtung vom Fluss Ak-Buura durchzogen. Ich bog beim Markt links nach Westen in die Kyrgyzstan-Strasse ab und kam unweigerlich unter einer grossen Brücke, über die der Durchgangsverkehr geleitet wird, in ein Quartier, wo – auch wieder im Halbdunklen – ein offener Markt, der Basar Osz, beginnt. Dort wurde ich gleich von mehreren älteren Männer mit verfaulten Zähnen, Schweiss auf der Stirn, leeren, glasigen Augen und einem unangenehmen Geruch nach Alkohol aus dem Mund angesprochen und angebettelt wie wenn mir das Geld, das sie für die nächste Ladung Wodka benötigten, demonstrativ zu den Hosentaschen heraus hängen würde. Einer, er hielt meine Hand, die ich ihm nicht gegeben, sondern die er sich genommen hatte, fest fest und schwafelte mich auf – ich glaube – Russisch in Grund und Boden und ich antwortete ihm auf Baseldeutsch. Wir fanden heraus, dass wir beide Mathematiklehrer waren...mehr Gemeinsamkeiten gab es nicht zu ergründen und ich musste mich mit Hilfe eines sympthischen jungen Mannes aus dem Würgegriff des Suchtkranken lösen, was mir nur gelang, weil ich ihm zwei kleine Münzen im Wert von umgerechnet 20 Rappen vor die traurigen Augen hielt. Es war mir unangenehm, diesem Mann nicht helfen zu können – ich hätte ihm auch mit 10'000 Com oder irgendeiner anderen Summe Geld nur einen nächsten unheilbringenden Rausch beschert.
Ich muss zugeben, dass ich grosse Mühe habe mit Drogenbettlern, die in mir einerseits Mitleid und andererseits Abscheu erzeugen, gepaart mit einer Hilflosigkeit und dem Wissen, dass jede milde Gabe das Problem nur grösser macht.

der grosse Stadt-Park

Nach diesem Erlebnis der eher unangenehmen Art zog ich es vor, den offenen Basar rechts liegen zu lassen und links, also südwärts, in den Park zwischen der Ленин- (Lenin-)Avenue und dem Fluss Ak-Buura zu ziehen, wo mich viele lauschige Gartenrestaurants, ein Lunapark und Hunderte von Attraktionen für Kinder, schlenderndeСтуденты («studienty»Studentinnen), palavernde Пенсионеры («pensionery»,Pensionäre), spielende Дети («dieti», Kinder) und einfach zufrieden und belustigt erscheinende Люди («lyudi», Menschen) erwarteten. Die farbigen Stände, die Schilder, auf denen die Restaurants ihre traditionellen Speisen anboten und die fantasievoll gestalteten Fahrgeschäfte und Schiessbuden kontrastierten auf sehr angenehme Art zu den düsteren Marktgassen und den traurigen Gesellen unter der Brücke.


Da war ein langer Tisch unter einem Blechdach, an dem Dutzende Männer Schach und Nardi, das Backgammon Zentralasiens, spielten. 

Nardi- und Schachspielende im Park

Da waren Getränkestände, an denen neben den Süsswassern amerikanischer Provenienz auch Kumiz, die vergorene Stutenmilch, angeboten wurden. 

Bazooka-Schiessstand
Da waren Schiessstände mit Luftgewehren, Gatlin-Guns mit Gummikugeln, Wasserpistolen, Laser-Snipern...es scheint, dass kriegerisches und jadgähnliches Schiessen eine der grossen Freizeitbeschäftigungen eines jeden Kirgisen ist. 


Da waren kleine Riesenräder, Flugzeugscooter mit skurilen lastwagenschlauchähnlichen Rammschutzpolstern, ein leuchtend blau angestrichener Lear-Jet im Wald als Restaurant und ein Rollercoaster zwischen hochgewachsenen Laubbäumen.


...und alles durchfliessend oder zusammenhaltend der für jede zentralasiatische Ortschaft unverzichtbare kleine Wasserlauf, der Dreck abführt und Pflanzen bewässert.


Voll der Eindrücke wollte ich über die Lenin-Avenue zurück an den Nordeingang und mir ein landestypisches Mittagessen zu Gemüte führen, als mich Nurbek, ein 18-jähriger Kirgise ansprach und fragte, ob ich Deutsch spreche. 

Nurbek

Er lernt Deutsch an einer Sprachschule und trägt sich mit dem Gedanken, nach Deutschland zu gehen um zu studieren oder arbeiten. Hier studiert er seit vier Jahren Jurisprudenz, was mich sehr erstaunt hat, denn bei uns ist ein 18-jähriger meist noch gar nicht im Besitz einer Matura. Wir sprachen ein wenig im Gehen über unsere Berufe/Ausbildungen, über seinen Wunsch nach Deutschland zu gehen und mögliche damit verbundene Hindernisse – und ich entschied, den wissbegierigen und sehr sympathischen jungen Mann zumMittagessen einzuladen...nicht ganz uneigennützig, denn das ersparte mir das Entziffern der Menükarte resp. dasgestikulierende Kommunizieren mit der Bedienung und bescherte mich gleichzeitig mit einer willkommenen Gesellschaft beim Essen. Er wusste nicht recht, wie ihm geschah und nahm das Angebot trotzdem gerne an...stellte sich aber beim Bestellen in meinen Augen etwas ungeschickt an wie wenn nicht sicher wäre, ob mir seine Wahl gefallen würde oder er Angst hätte, etwas falsch zu machen. Erst als ich ihm verständlich machen konnte, dass er einfach bestellen solle und ich dann bezahlen würde, kam er in die Gänge. 
Es gab Самса (Samsa, eine Teigtasche gefüllt mit fein gewürztem Hackfleisch) und Лакман(Lakman, eine Suppe mit etwas dreimal so langen Spaghetti wie bei uns und einer Gemüse-Fleisch-Mischung), beides sehr bekömmliche und leckere Speisen...dazu..wer hätte es gedacht?...Schwarztee. Er wusste nicht, warum immer eine Tasse mehr als Teetrinker aufgetischt werden...eines der grossen Rätsel zentralasiatischer Tischmanieren...selbst für Einheimische…;)

Ein kleiner Tipp nebenbei: wer Zentralasien bereisen will und ein Messer zum Essen braucht sollte ein solches von zu Hause mitnehmen, denn es gibt ausschliesslich Gabel und Löffel als Gedeck.

Nurbek rang oft mit den wenigen Worten, die er in den fünf Monaten seines Deutschkurses gelernt hatte und ich versuchte ihm zu helfen wo ich konnte. Als Fremdsprachenklassenlehrer wählte ich natürlich bewusst die einfachen Formulierungen, mit denen ich beim Unterrichten den des Deutschen unkundigen SchülerInnen unsere Sprache näher zu bringen versuchte und übte ganz einfach ein wenig den substantiellen Wortschatz und das Bilden einfacher Sätze mit ihm. Es schien ihm Spass zu machen und wir hatten ein lebendiges aber auch anstrengendes Mittagessen zusammen.

Osher Freibad

Nachdem wir uns getrennt hatten ging ich weiter südwärts Richtung des Osher Freibads, das ich von der Абдыкадыров- (Abdikadirov-)Brücke aus einsehen und fotografieren konnte. Die jungen Kirgisen verhalten sich genauso wie die jungen Schweizer, Deutschen, Franzosen, Thais, Inder und wohl alle jungen Menschen, die ein Freibad besuchen. Sie stehen zusammen, zeigen was sie an Kunststücken drauf haben, begutachten das andere Geschlecht, spielen sich auf, klatschen flach auf's Wasser weil der Kopfsprung oder der Salto misslungen ist, drücken sich spasseshalber unter Wasser und werfen und kicken Bälle umher. Das Bad selber, vor allem das grosse Schwimmerbecken, ist zwar nicht so schnieke und perfekt wie wir es gewohnt sind, erfüllt aber allemal seinen Zweck, war gut besucht, erzeugt Freude und regt zu sportlicher Betätigung an. So wie jedes Freibad auf der Welt...eigentlich nichts Besonderes…;)

ein Lear-Jet als Restaurant

Zu wenig Trinken und zu viel stechende Mittagssonne liessen meinen Schädel ein wenig brummen und so verbrachte ich die Zeit bis zum Abendessen mit Lorenz, Vreni, Werner und zwei (sorry, ich weiss die Namen schon nicht mehr...PEINLICH!) Motorradfahrern aus Deutschland und Österreich in einem der besten europäischen Restaurants der Stadt, dem «Dolce Vita», mit einem Nickerchen in meinem Hotelzimmer.
Das Abendessen war sehr gut und es war auch wieder einmal schön, gewohntes, vertrautes und gekonnt zubereitetes europäisches Essen zu geniessen und danach einen echten italienischen Espresso zu schlürfen. Die Erzählungen der Motorradreisenden vom Wakhan-Korridor bestätigten Lorenz und mir die Entscheidung, diesen mit dem Muni nicht gefahren zu sein...wir wären wahrscheinlich an den Pistenverhältnissen verzweifelt, hätten gewisse Passagen nur unter grösster Angst vor einem Sturz in die Tiefe und den sicheren Tod bewältigen können und hätten unser Fahrzeug unnötig grossen Belastungen ausgesetzt, die leicht zu Schäden und damit verbundenen Reparaturen unter schwierigsten Bedingungen abseits jeder Infrastruktur hätten führen können.
Es war von engen Spitzkehren in steilstem Gelände, seitwärts sehr abschüssigen engen Trassen und unterspülten Fahrbahnen, deren Tragfähigkeit selbst für PWs fraglich erschien, die Rede.

haben die BVB ihre Trolleybusse nach Osh verschenkt?
Wir vereinbarten für den kommenden Tag erneut ein gemeinsames Abendessen...diesmal an einem kirgisischeren Ort. 

Ich werde berichten…;)

Ach ja, da war noch etwas: ich war es leid, immer wieder für den Vater von Lorenz gehalten zu werden...nicht weil mir ein so gut aussehender und gross gewachsener Sohn nicht gefallen hätte, sondern weil die Vorstellung, einen 45-jährigen Sohn zu haben, ein klein wenig an meinem Selbstwertgefühl geknabbert hat...und so entschied ich mich kurzerhand für die Radikalkur: ich holte die Tendeuse, die ich extra für solche Notfälle eingepackt hatte, aus dem Shelter. 

Den Rest erzählen die Fotos...no further comment...lol
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