Voraussichtliche Reisedaten

Freitag, 7. Juni 2019

7. Juni 2019 | Кулоб (Kulob) - Кальаи хумб (Kalaikhum) (TJ) | 176 km

Ich stand, die zweite Tasse Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker rauchend, hinter dem Muni, als ein Deutsches Mercedes-Reisemobil mit der Aufschrift «Silkroad Adventures» hornend an unserem Standplatz vorbei fuhr. Es fuhr in die gleiche Richtung, in die wir auch fahren wollten: Richtung Abe-e-Panj-Tal und Kalaikhum. Endlich sahen wir jemanden mit einem vergleichbaren Fahrzeug die gleiche Route nehmen, was uns zuversichtlich stimmte. Die Unsicherheit, ob diese Route für so grosse und schwere Fahrzeuge überhaupt geeignet sei, lag uns noch immer ein wenig auf dem Magen. Wir sollten sie später noch einmal sehen...darüber aber mehr weiter unten.
GrossartigeAussicht auf das Tal bei Khulob

Bald darauf startete ich den Motor, wartete bis der Betriebsdruck von 8 bar sich im System aufgebaut hatte, legte den zweiten – wir fahren so lange es nicht steil oder schwierig ist immer im zweiten Gang los, da der erste sehr kurz übersetzt ist – Gang ein und schwenkte in die aufsteigende Strasse. Sie war noch immer, wie gestern Abend, recht unangenehm zu befahren, da es viele Schlaglöcher hatte und ich zwischen diesen Slalom fahren musste. Es wurde aber bald noch schlimmer, denn die Strasse ging in eine Schotterpiste mit mindestens ebenso vielen Schlaglöchern über. So konnte ich maximal 25 km/h fahren, meistens aber nur im Schleichgang die teilweise steile Strasse hinaufklettern.
Mit der gewonnen Höhe hatten wir einen sehr guten Überblick über das breite Tal, die mit Gras bewachsenen und mit Feldern bebauten Hügel und dahinter auf die Bergketten, über die wir gekommen waren. Es bot sich uns eine grossartige Aussicht.

erster Halt beim Imker


Einen ersten Halt – wir müssen, seit wir uns durch sehr viel Trinken auf die grossen Höhen vorbereiten, oft anhalten um Wasser zu lösen – schoben wir bei einem Imker ein, der gerade daran war, seine vielen Bienenhäuser neben der Strasse zu pflegen. Dort konnte ich ein paar Fotos machen und Lorenz wollte dem Bienenmelker Honig abkaufen, welchen er aber noch nicht hatte...die Bienen flogen ja auch noch fleissig umher und sammelten Nektar…;)



Hirtenbub mit Saggmässer
Der nächste Toilettenhalt fand bei einem Jungen, der seine Kühe hütete und der mit einem eindeutigen Handzeichen nach Wasser gefragt hatte, welches wir ihm, zusammen mit einem der Saggmässer, gerne gaben, statt. Er war sehr froh um das Wasser und freute sich über das Mitbringsel aus der Schweiz. Dafür durfte Lorenz ein Foto von ihm machen.

















dritter Halt mit Torbogen
Der nächste Toilettenhalt auf der holprigen Strecke war oben auf einem fast 2000 m.ü.M. liegenden Pass statt, wo die Grenze zwischen zwei Verwaltungsdistrikten mit einem grossen Bogen über der Strasse markiert war. Hier schoss ich wieder einmal vom Muni mit Lorenz auf dem Dach des Shelters stehend ein Foto.








bewaldete Berghänge Richtung Abe-e-Panj
Kurz darauf änderte sich die Qualität der Strasse schlagartig: nach dem Weiler Нохияи Шурообод (Nochijai Schuroobod oderso), der auf einer Höhe von fast 1600 m.ü.M. liegt und zu Sowjet-Zeiten eine wichtige Militärbasis gewesen sein muss und wo eine grosse Strasse von Südwesten sich mit der unsrigen vereinte, fuhren wir auf einer Gebirgsautobahn bester Güte. Die Steigungen waren kontinuierlich und immer genauestens mit Steigungsprozenten angeschrieben, die zweispurige Fahrbahn etwa 15 m breit und alle Brücken trugen 60 Tonnen...kein Zweifel, über diese Strasse wurde während der Besetzung Afghanistans Kriegsmaterial verschoben.
rote Erde an der Bergautobahn

erstes afghanisches Dorf auf der anderen Seite des Flusses
Schon wenige Kilometer später begann der Abstieg zum Abe-e-Panj-Tal, das die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan bildet. Von der Passstrasse aus sahen wir in einen riesigen Talkessel, wo sich zwei Flüsse miteinander vereinigten und gemeinsam südwärts flossen. Unser Weg führte uns flussaufwärts auf dem westlichen, rechten (in Flussrichtung gesehen) Ufer des Abe-e-Panj, der auf mehr als Tausend Kilometern die Grenze zwischen den beiden Ländern bildet.
Das Gefühl, nur wenige Hundert Meter von Afghanistan entfernt zu sein, war sehr speziell. Dieses Land wird bei uns immer noch als ein gefährliches eingestuft...wenn wir in Zentralasien Leute auf die Gefährlichkeit ansprachen, war jedoch immer genau das Gegenteil der Inhalt der Antwort. Ausserdem waren wir ja auf der sicheren, tadschikischen Seite.
Afghanistan in Steinwurfdistanz

Bald schon verlief die Strasse unmittelbar am Flussufer und wir hätten Steine nach Afghanistan werfen können, wofür wir aber keinen Anlass sahen. Der Abe-e-Panj durchschneidet ein massives Gebirge, dessen Flanken steil zum Fluss abfallen und dem wilden, vom Regen der letzten Tage reichlich genährten Gewässer eine grandiose Kulisse bieten. Schon nach der ersten grossen Biegung des Flusses befand sich ein erster Grenzübergang: eine 60-Tonnen-Hängebrücke mit Zollstationen auf beiden Seiten hätte uns – ein entsprechendes Visum vorausgesetzt – die Einreise nach Afghanistan ermöglicht. Wir zogen es jedoch von, einen Kleber von Res' Hardegger-Perle auf den Wegweiser nach Afghanistan zu kleben und ein Erinnerungsfoto zu schiessen.
Hardegger-Perlen-Kleber auf dem Wegweiser nach Afghanistan

links Afghanistan, rechts Tadschikistan
Auf der grossartigen Berg-Fluss-Autobahn konnte ich in zügigem Tempo weiter fahren, während die Landschaft immer dramatischer und schöner wurde. Der Fluss schnitt sich durch teilweise eng bei einander stehende Felsmassive seinen tosenden Weg, die Steilwände drohten auf uns herab zu stürzen und die Hänge darüber waren vor dem stahlblauen Himmel mit saftigem Grün bewachsen. Immer wieder stäubten die Wasser über Stromschnellen und um riesige Felsblöcke, die erst gerade ins Wasser gefallen zu sein schienen, oder es bildeten sich ruhige Hinterwasser und aufgestaute Stellen, die zu Verweilen luden.

Verkehr auf der Piste in Afghanistan
Auf der anderen Seite des Flusses, in Afghanistan, verlief eine Naturpiste, die sehr schmal schien, auf der aber ein reger Verkehr stattfand. Motorräder, Autos und sogar Lastwagen bewegten sich auf der in den Fels geschnittenen und in senkrechte Abhänge in den Wänden hängenden Strasse, manchmal nur wenige Meter über der Wasseroberfläche, manchmal weit oben über unseren Köpfen. In riesigen Schuttkegeln sammelten sich die Bruchstücke der Felswände, Wasserfälle fielen von den Steilhängen und immer wieder kamen Dörfer in Sicht, die sehr einfach, oft ohne Strom und selten mit Fahrzeugen in den Strassen, auf diesen Schuttkegeln lagen. Sie erschienen wie Oasen in der schroffen Berglandschaft mit ihren vielen Bäumen und den sorgfältig angelegten Gärten mit Steinmausern. Kinder spielten am Wasser und Frauen wuschen Wäsche. Immer wieder sahen wir Männer, die sich um die Gärten und Felder kümmerten. Viele dieser Dörfer lagen malerisch in den Schuttkegeln oder an den Hängen der Berge – es schien, als ob es den Menschen dort gut gehe, obwohl sie bestimmt – nach unseren Massstäben – sehr arm sind.
bewaldeter Schuttkegel

afghanisches Dorf 

Piste entlang von Felswänden
So fuhren wir rund 70 km flussaufwärts auf der gleichen, sehr guten Strasse, die erst endete, als der zweite Grenzübergang mit der gleichen Schwerlastbrücke in Sicht kam. Ab da wäre der Name «Strasse» übertrieben gewesen...«Rüttelpiste» oder «extreme Federungs-Teststrecke» wären treffende Bezeichnungen. Aber da fuhr – zum Glück für mich – wieder Lorenz, denn nach dem einfachen Mittagessen in einem der wenigen Restaurants auf dieser Strecke, wechselten wir die Positionen.





Flussbett, das von Menschen durchquert wird (tadschikische Seite)
Die Holperpiste erster Güte führte uns weiter nordwärts entlang des Abe-e-Panj, immer noch lag parallel auf afghanischer Seite die Naturstrasse, auf der die Fahrzeuge jetzt schneller als wir unterwegs waren...sie musste in einem viel besseren Zustand sein als unsere «Strasse».
bewaldeter Hang auf afghanischer Seite

Dorfdurchfahrt
Jedes Dorf, das wir durchfuhren, strotze vor Grün. Bäume, Gärten, Felder leuchteten richtiggehend und die Menschen in den Dörfern winkten uns freudig nach und grüssten freundlich mit einem respektvollen Kopfnicken und der Hand auf dem Herz, während wir entweder winkten, es ihnen gleich taten oder einfach freundlich tröteten, was vor allem bei den Kindern immer Begeisterung hervor rief.
Ich habe den Eindruck, dass es sich in diesem Land – auf einem ganz anderen Niveau als bei uns – sehr gut und zufrieden leben lässt. Die Menschen machen jedenfalls durchwegs einen zufriedenen und fast schon glücklichen Eindruck, sie sind gut gekleidet, alle haben etwas zu tun, sie sind unter einander und mit uns äusserst freundlich und es scheint ihnen an nichts zu fehlen.
In den Dörfern kann man alles einkaufen, was zum Leben benötigt wird, die Kinder spielen draussen miteinander, Frauen und Männer gehen tagsüber meistens getrennte Wege und das Leben spielt sich ruhig und gelassen ab. Die Dörfer sind sauber und es gibt nur selten Wasser in PET-Flaschen zu kaufen, was auf eine gute Trinkwasserqualität schliessen lässt. In den einheimischen Gärten und auf den Feldern scheint das meiste an Gemüse und Obst zu wachsen, was benötigt wird. Das Brot ist gut und immer im Holzofen gebacken, Fleisch kommt meistens von Rindern oder Schafen, wird lange gekocht und schmeckt durchweg gut.
Blick flussaufwärts, rechts die Piste in Afghanistan

Man merkt es vielleicht: ich bin begeistert von Tadschikistan! Dieses Land beeindruckt mich bisher am meisten von allen Ländern, die wir bereist haben, weil es in jeder Hinsicht schlicht grossartig ist und vor allem durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft und besonders freundliche Menschen besticht. Ich möchte mit diesem Urteil die Erlebnisse in den anderen Ländern nicht schmälern – aber hier kommt alles fast schon perfekt zusammen und wirkt besonders eindrücklich auf mich.

Pascal aus Huttwil mit Fahrrad
Irgendwo auf der Strecke entlang des Grenzflusses stand dann noch dieser Fahrradfahrer. Wir tröteten von Weitem (bei Fahrradfahrern muss man mit so einem Horn wie wir es haben immer aufpassen, dass sie vor Schreck nicht gleich vom Rad fallen!), hielten an und wurden auf Berndeutsch mit einem «Tschou zämme, geits guet?» auf's Freundlichste begrüsst. Pascal ist im vergangenen November in der Schweiz gestartet und wird noch bis Bischkek in Kirgisistan fahren, von wo aus er mit dem Zug durch Kasachstan und Russland zurück in die Schweiz rattern wird. Wir sprachen ein wenig über Erlebtes und vor uns Liegendes, boten ihm Wasser und anderes an, was er aber alles nicht wollte, denn er habe alles und verabschiedeten uns mit guten Wünschen für den Rest der Strecke. Was für ein Verrückter!

Nach rund 50 km übelster Rüttelpiste und vielen grandiosen Aussichten auf ein schlicht unbeschreiblich schönes Panorama trafen wir in Кальаи хумб (Kalaikhum) die Deutschen von «Silkroad Adventures» auf einem versteckten Parkplatz wieder. Sie begleiten eine Gruppe von Motorradfahrern und konnten uns ein paar sehr hilfreiche Tipps und Informationen geben. Ich weiss leider ihre Namen nicht mehr….aber ich glaube fest, dass wir sie noch einmal antreffen werden, denn unsere Wege sind etwa die gleichen...dann kann ich ja noch einmal fragen.
Muni zur Nacht geparkt

Wir beschlossen, den nächsten ruhigen und günstigen Platz für die Nacht zu belegen, obwohl erst etwa 16 Uhr war...wir waren müde vom Rütteln und Schütteln und wollten ein kühles Bier trinken. Schon kurz nach Кальаи хумб (Kalaikhum) fanden wir in einer Flussbiegung einen tollen grossen Platz und installierten uns neben einer Baumreihe etwas abseits der Strasse und ohne Sichtkontakt zu einer Siedlung. Lorenz warf die Eismaschine an und liess nach der Empfehlung des Deutschen Fahrers des Mercedes-Reisemobils noch einmal ein bar Druck aus dem Reifen, während ich Fotos schoss und die Gegend erkundete.
Scarabäen-Paar beim Rollen
Auf diesem flachen Platz hat es viele Scarabäen, Käfer, die eine Kugel aus Kuh-Dung formen, in die sie ihre Eier legen und die Kugel dann als Paar in Teamarbeit über die Ebene rollen: einer zieht und einer stösst. In welche Richtung es gehen soll sind sie sich nicht immer einig..aber irgendwie scheinen sie immer vorwärts zu kommen.

Dann folgte das nach thailändischer Art eisgekühlte Bier, eine Hardegger-Perle, mit einem kleinen Apéro aus Fladenbrot mit Olivenöl und Salz und Pfeffer und wir schauten aus den Campingstühlen nach Afghanistan.

So neigte sich ein aufregender, vielfältiger, schöner und bewegter Tag an einem schönen Ort dem Ende zu.


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