Dieser Tag begann denkbar schlecht: es gab keinen Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker für mich!
Aber ich liess mich nicht unterkriegen, hatte ich doch wunderbar in «meinem» 9er-Zimmer geschlafen und wollte so rasch als möglich bei Aidars Mechanikerwerkstatt sein um Lorenz die Antwort von Urs, unserem Lastwagenmechaniker bei Thun, auf meine Frage mitzuteilen, was besonders zu beachten sei beim Ersatz einer Blattfeder. Urs meinte, es wäre gut, gleich auf beiden Seiten das oberste Federblatt zu wechseln wenn kein Originales aufgetrieben werden kann, ausserdem dürfe natürlich kein Teil verloren gehen und es sollte sauber gearbeitet werden um Schmutz oder Rost zwischen den Blättern zu vermeiden. Auch sollten die Blätter gefettet werden und nach 30-100 km alle Schrauben und Muttern nachgezogen werden.
So packte ich meine Sachen, verabschiedete mich von Anna & Locky, den beiden Australiern, die mich gestern so lieb bekocht hatten, beglich die Rechnung von umgerechnet 7 Franken für die Übernachtung und zottelte los Richtung Hauptstrasse, wo ich ein Taxi zur Werkstatt nehmen wollte. Unterwegs kam ich an einer Schule vorbei, wo wohl gerade der Unterricht beginnen sollte – zumindest klang es so wie bei uns vor Unterrichtsbeginn: es war Schwatzen, Rufen, Lachen, und das Rücken von Stühlen zu hören. Ein keckes Mädchen mit zu Zöpfen geflochtenen Haaren– es war 12 Jahre alt und schien mir recht klein für sein Alter – war auf seinem Weg nach Hause (scheinbar hatte es etwas vergessen) und fragte mich in gutem Englisch, wie ich heisse, wie alt ich sei, woher ich komme...die typischen Fragen, die man in der Schule lernt. Wir unterhielten uns ein wenig während wir in die gleiche Richtung gingen, sie knabberte Pipas, geröstete Sonnenblumenkerne, und war scheinbar zufrieden, ihr Englisch ein wenig anwenden zu können.
Unten an der Hauptstrasse kaufte ich mir ein Croissant, das mit einer Art Confitüre gefüllt und aus einem Hefeteig hergestellt war. Es schmeckte sehr gut und war genau das Richtige für meinen leeren Magen.
Der Taxifahrer in seinem Minibus nickte bestätigend, als ich ihn fragte, ob er mich zu Aidars Mechanikerwerkstätte bringen könne. Im Taxi sassen bereits zwei Frauen, bis zum Markt steigen noch mehrere Leute ein. Am Markt angekommen bedeutete mir der Fahrer, dass hier Endstation für mich sei und auf mein Ansinnen, ich wolle doch zu Aidar deutete er auf die anderen Taxis...scheinbar sollte ich es bei einem anderen probieren. Also fragte ich mehrere Fahrer, ob sie Aidar kannten, aber niemand wusste, wo sich diese Werkstatt befindet. Zwei hilfreiche Männer nahmen sich mir an, denn ich muss ziemlich ratlos beim bereits sehr geschäftigen Markt gestanden haben. Aber auch sie konnten nicht in Erfahrung bringen, wer mich dorthin fahren könnte, also versuchte ich es wieder auf eigene Faust und hatte beim x-ten Versuch Glück. Ein älterer Chauffeur (noch älter als ich) fuhr mich dann an die richtige Stelle, die ich ihm mit Hilfe von Tante Googles Karten und der Beteuerung, ihn zu lotsen, klar machen konnte.
Lorenz war schon nicht mehr da, sondern war mit einem Angestellten Aidars auf der Suche nach einer Occasions-Blattfeder. Sie klapperten mehrere Schrottplätze und Stellen ab, wo alte Lastwagen rumstanden und kamen wenig später – es hatte mir gerade gereicht, mir einen Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker zu brauen – mit einem Stück Federstahl zurück, das in einem früheren Leben einmal unter einem Lastwagen-Chassis als Feder gedient hatte. Es war zu breit, zu wenig dick, zu stark gebogen und viel zu lang...aber es war Federstahl.
alte, gebrochene und neue Blattfeder |
Aidar meinte, das passe perfekt und würde uns als gute Feder dienen...Das Ablängen und die Korrektur der Breite seien kein Problem.
erste Aufgabe: Aufbocken |
Zwei Angestellte – oder waren es Auszubildende? - kamen mit einer Werkzeugkiste und wir begannen, alles für den Ausbau der defekten Blattfeder vorzubereiten. Zuerst wurde versucht, einen LKW-Wagenheber auf einer Fläche der Hinterachse anzusetzen und so den Rahmen anzuheben um die Federn zu entlasten. Als dies nicht ging, schlug Lorenz vor, es so zu machen, wie wir es gestern am Strassenrand getan hatten, was dann auch zum Erfolg führte. Als das Blattfeder-Paket entlastet war wurden die Befestigungen gelöst und und das oberste, gebrochene Federstahl-Blatt konnte entfernt werden.
Bruchstelle |
Zu unserem Erstaunen war die Bruchstelle überhaupt nicht neu, sondern die Bruchkanten waren so stark korrodiert, dass geschlossen werden musste, dass die Blattfeder schon vor langer Zeit gebrochen war. Aidar meinte, sie sei schon mehrere Jahre gebrochen und erst jetzt, unter der extremen Belastung der Rüttelpisten und Schlaglochorgien lose geworden.
Wir haben also ohne etwas zu merken bereits die gesamte Reise mit einer gebrochenen Federplatte hinter uns gebracht!
Blattfedersatz gereinigt |
Während die Mechaniker das neue alte Federblatt ablängten und in der Mitte schmaler schnitten reinigten Lorenz und ich die verbliebenen Blattfedern des rechten Pakets von Rost und Fettresten, bestrichen sie gemäss Urs' Tipp mit Fett und legten sie wieder an ihren angestammten Ort. Selbstverständlich hatte ich jedes Blatt vor dem Reinigen und Fetten mit einer Ahle markiert, damit es genau so wieder eingebaut werden konnte wie es zuvor war. Aidar meinte, er habe noch nie Blattfedern gefettet – wir versicherten ihm aber, dass man das in der Schweiz so mache.
«Wieso fettet ihr die Blattfedern?» |
Der schwierigste Teil der Reparatur war der Einbau des neuen Blatts, da dieses eine grössere Krümmung hatte als die originalen Federblätter. Dafür musste mit einem zweiten Wagenheber die Distanz zwischen Achse und Rahmen noch einmal vergrössert werden. Das geschah auf recht abenteuerliche Weise, die Lorenz und mich vorsichtshalber einen Schritt zurück machen liess, denn es sah so aus, als würde die Schwerlastkonstruktion jeden Moment zusammenbrechen und die eingespannten Teile uns um die Ohren fliegen. Aber die Mechaniker – unter fachkundiger Anleitung Aidars – wussten genau was sie taten und nach einigen Versuchen sass das neue Federblatt an seinem Ort und die Befestigungskonstruktion konnte wieder angebracht werden.
Das tönt jetzt alles sehr einfach und logisch – aber wir mussten alle zusammen viel überlegen, versuchen und einiges an Kraft aufwenden, bis alles wieder an seinem Ort war und der Chef seinen Segen dazu gab. Nach ein paar Runden auf dem Gelände und nochmaligem Festdrehen aller Muttern und Schrauben konnte die Reparatur als abgeschlossen angesehen werden.
neues Blattfeder-Paket |
Das Blattfeder-Paket sieht bei genauer Betrachtung recht abenteuerlich aus und wird bestimmt die Prüfung auf der Motorfahrzeug-Prüfstation in Bern nicht bestehen – es wird uns aber mit grösster Wahrscheinlichkeit zuverlässig über die restlichen 15-20'000 km nach Hause bringen. Ganz bestimmt ist die jetzige Lösung stabiler und besser als die Federung, mit der wir vor etwas mehr als zwei Monaten auf grosse Fahrt gegangen sind.
Die Kosten für die gesamte Reparatur – zwei Angestellte arbeiteten 5 Stunden und der Chef war fast immer präsent, kontrollierte und leitete an – sowie die neue Blattfeder beliefen sich am Ende auf astronomische 45 Franken. Hinzu kam ein – für tadschikische Verhältnisse – fettes Trinkgeld für die Arbeiter.
topausgerüstete Werkstatt |
Aidar zeigte uns anschliessend seine Werkstatt, in der er Automechaniker ausbildet. Sie ist sauber aufgeräumt, es hat Schulungsräume, qualitativ gutes Werkzeug, neuste Maschinen und es lässt sich dort sehr gut arbeiten. Er wird von Deutschland aus unterstützt und plant naben der PW- noch eine LKW-Werkstatt. Unter anderem wartet und repariert er die Fahrzeuge der Aga Khan-Stiftung, die hier im Tal viele Projekte betreut.
Theorieraum |
Elektrikraum |
Aidar und Xoff |
Aidar war 12 Jahre lang bei russischen Militär Lastwagen- und Panzermechaniker gewesen und hatte eine Ausbildung bei Mercedes in Deutschland genossen, wo er auch sehr gut Deutsch gelernt hat. Seine Ausbildungs-Tätigkeit ist Teil der Zentralasiatischen Universität und er wird von fast allen Reisenden mit Problemen mit ihren Fahrzeugen angefahren. Während wir dort waren begehrten mehrere Reisende mit Motorrädern seine Hilfe – einem, der geknickte Federgabeln an seiner BMW 1200 GS Adventure, einem Riesenmotorrad, hatte, konnte allerdings auch Aidar nicht helfen.
Galerieportal aus Zeiten der UdSSR |
Nach der erfolgreichen Reparatur besorgte ich auf dem grossartigen Markt mitten in Хоруг (Chorug) wir noch fehlenden Proviant für Magen und Lungen, während Lorenz an einer Tankstelle mit gutem kasachischem Treibstoff den Tank mit Diesel auffüllte und fuhren los – es war mittlerweile 15.30 Uhr. Wir wollten zu dem Ort auf rund 2900 m.ü.M. fahren, wo wir tags zuvor den Schaden an der Federung entdeckt hatten und dort unsere Akklimatisation an die Höhe fortsetzen.
das holprige Stück |
Die Strecke kannten wir ja bereits und wussten, dass es nur ein einziges sehr holpriges Stück sowie ein paar Stellen mit Schäden im Asphalt hat. Trotzdem fuhren wir sehr vorsichtig und kontrollierten unterwegs ein paar Mal, ob an der Federung noch alles in Ordnung war. Wir erreichten den 80 km entfernten Ort problemlos und während ich mich in der Küche vergnügte und eine feine Tomatensosse zu den tadschikischen Maccaroni zauberte, zog Lorenz alle Muttern und Schrauben nach, die heute für die Reparatur gelöst werden mussten.
Bergsee beim holprigen Stück |
Baumaterial sammeln - es liegt hier überall herum |
Schafe und Ziegen am Abend in den Stall treiben |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen