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Muni und Pferd im Jurten-Camp mit prachtvoller Aussicht |
Das Aufwachen im Turan-Jurten-Camp war zwar nicht anders als sonst auch...aber irgendwie war es trotzdem speziell, denn ich konnte nach dem Aufwachen in die Esszimmer-Jurte gehen und frühstücken, während Lorenz in Ruhe noch ein wenig schlafen konnte...bei ihm nutzt der Schönheitsschlaf eben noch etwas…;)
Das war um 9 Uhr.
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Manas, Xoff und Sezim |
Danach zeigten wir den Muni einer kirgisischen Mutter mit ihren vier Kindern, die im Jurten-Camp an der Stutenmilch-Therapie mitmacht. Sie war sehr interessiert an unserem Fahrzeug und beeindruckt von der Innenausstattung des Shelters. Leider konnten wir ihr nicht anbieten, ein Stück mitzufahren, denn für eine Erwachsene und vier Kinder war schlicht kein Platz.
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das Turan-Jurten-Camp |
Sezim, die Camp-Managerin, fragte uns, ob wir Stutenmilch probieren wollten, denn um 10 Uhr war die zweite Tasse der heutigen Stutenmilch-Therapie fällig. Wir willigten ein, schnappten uns ein Teeglas und gingen zu den Pferden einer Nomadenfamilie mit Zwilingsbuben, die gleich nebenan ihre Jurte aufgebaut hatten und jeweils die Milch frisch ab Stute lieferten. Die Fohlen waren an einem Seil in einer Reihe angebunden und die Stuten kamen jeweils zum Melktermin zu ihren Fohlen. Damit die Stute überhaupt Milch gibt muss scheinbar wie bei den Kamelen das Fohlen anwesend sein.
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kleiner Teich im Jurten-Camp mit Reflexion der Bergkette |
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einer der Zwillings-Jungs |
Der Bauer molk die Stuten während seine Frau die Milch verteilte. Jeder erhielt ein Glast voll – Lorenz und ich teilten uns ein halbvolles. Wir nahmen so wenig weil wir einerseits den anderen ihre Therapiemilch nicht weg trinken wollten und andererseits weil wir nur kosten wollten und auch nicht sicher waren, ob ein ganzes Glas unsere empfindlichen europäischen Verdauungssysteme nicht zu sehr in Verwirrung bringen würden.
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Fohlen sind angebunden, Stuten kommen dazu |
Die körperwarme, frisch gemolkene Milch ist sehr leicht und süsslich und schmeckt ausgezeichnet.
Sezim sagte nachdem wir je zwei, drei Schlucke genommen hatten, dass diese Milch vor allem den Körper reinige und den Verdauungstrakt durchputze. Es sei sicher gut, sich in der Nähe einer Toilette aufzuhalten. Na Dankeschön, dachte ich mir.
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Bauer beim Melken |
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Mamas erhält seine Portion Stutenmilch |
Nachdem wir uns von den lieben Menschen verabschiedet und unsere offene Rechnung beglichen hatten starteten wir unsere heutige Fahrt, die uns Richtung Norden und dann nach Osten führen sollte. Ich setzte mich wieder zuerst ans Steuer und bereits nach wenigen Kilometern begann der Anstieg zum Töö-Pass, der sich ziemlich steil mit wenigen Spitzkehren den Berghängen entlang nach oben zog. Mitten im Anstieg erblickten wir zwei Tieflader-Lastwagen, die Hinterteil an Hinterteil aufgestellt waren und wo gerade ein Bagger über die zur Brücke aufgelegten Laderampen umgeladen werden sollte….wahrscheinlich um den einen Lastwagen zu entlasten, weil die Bremsen für die Talfahrt zu schwach waren. (Man sieht immer wieder Lastwagen, die im ersten Gang den Berg hinunter fahren weil wahrscheinlich die Motorbremse defekt ist und die «normalen» Bremsen zu schwach oder abgenutzt sind.) Als der Bagger auf die Brücke aus Laderampen fahren wollte kam der talwärts stehende Lastwagen plötzlich ins Rollen – wahrscheinlich weil die Gewichtsverlagerung die Bremsleistung beeinträchtigte – und begann samt des Baggers bergab zu fahren. Wir befürchteten schon das Schlimmste aber irgendwie gelang es den Chauffeuren, den Lastwagen zu stoppen und so einen fatalen Unfall zu verhindern.
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die Schafe der Bauern |
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man beachte das Aussehen des Schafes rechts oben, das an eine Saiga-Antilope erinnert |
Der Töö-Pass führt nicht über den Berg, sondern der oberste Teil ist durch einen Tunnel «geköpft». Dieser Tunnel würde bei uns nicht einmal als Arbeitsstollen für Mineure zugelassen! Die sehr enge Fahrbahn ist durchsetzt mit Schlaglöchern, Autos werden mittels eines Rot-Grün-Lichts «portioniert» und es sind keinerlei Sicherheitsvorrichtungen erkennbar. Trotz der Regelung des Verkehrsflusses müssen sich Fahrzeuge im Tunnel kreuzen, was meist ziemlich schwierig ist, da man kaum ausweichen kann. Ausserdem ist die Disziplin der Autofahrer hier sehr mangelhaft, denn sie wollen trotz Überholverbots überholen, fahren sehr nah auf und blenden mit ihren schlecht eingestellten Abblendlichtern den Gegenverkehr oder haben das Licht gar nicht eingeschaltet. Die Tunnelbeleuchtung ist nur pro forma existent und nicht wirklich hilfreich. Ich war jedenfalls froh, als die fast drei Kilometer im Dunklen vorbei waren!
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Nordrampe des Töö-Passes mit Serpentinen |
Auf der Nordseite des Töö-Passes winden sich wunderschöne Serpentinen ins Tal, die mit dem Motorrad wunderbar zu befahren wären – ausserdem war die Trasse sehr angenehm und mit wenigen Ausnahmen Schlagloch-frei. Mit dem Muni ging das natürlich nicht so flüssig – hier muss immer in sehr vorsichtigem Tempo gefahren werden, denn die «normalen» Bremsen sollten wo wenig wie möglich benutzt werden, da sie durch das Gewicht des Fahrzeugs extrem beansprucht werden. So rollt man die 8-12-prozentige Steigung mit höchstens 40 km/h im dritten oder vierten Gang hinunter, so dass die Motorbremse, die verschleissfrei und ohne zu ermüden abbremst, auch wirksam eingesetzt werden kann.
Nachdem wir im Tal angekommen waren begann der eher langweilige und verkehrsmässig anstrengende Teil der Fahrt. In der Ebene ist das Verkehrsaufkommen viel grösser und je näher wir der Hauptstadt Bischkek kamen, desto enger wurde es auf den Strassen. Und es gab sehr viele Baustellen, nachdem die ersten paar Dutzend Kilometer auf einer ganz neuen Strasse sehr zügig und angenehm zu fahren gewesen waren. In Bischkek, das wir gar nicht besuchen wollten, da es scheinbar keine nennenswerten Schönheiten zu bieten hat und – wie es Manas im Jurten-Camp ausdrückte - eine Stadt wie jede andere in der globalisierten Welt sei, war der Verkehr wie erwartete sehr lebendig und Lorenz, der sich nach dem super leckeren Mittagessen in einem modernen Restaurant mit chinesisch angehauchter lokaler Küche ans Steuer gesetzt hatte, musste sehr aufmerksam und vorsichtig fahren um die links und rechts überholenden Fahrzeuge nicht zu übersehen.
Ausserdem war heute wohl Radar-Kontrollen-Tag – so viele Radarkontrollen habe ich in meinem Leben gesamthaft noch nicht gesehen! Da wir uns jedoch immer an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten meinten wir nichts befürchten zu müssen. Trotzdem winkte uns ein Polizist hinter der Radarkamera mit seinem wichtigsten Statussymbol, der Kelle, raus und das gleiche Spiel wie immer konnte beginnen: Lorenz ging mit den Fahrzeugpapieren und dem Führerausweis zum Polizeiauto und diskutierte längere Zeit. Als er zurück kam meinte er: «Du glaubst es nicht, aber die wollen 10'000 Com weil unser Nummernschild vorne nicht in der Mitte unten angebracht ist!» Er setzte mit dem Muni zurück, winkte einen Beamten herbei und diskutierte erneut vor dem Corpus Delicti bis dieser einsah, dass das Nummernschild dort wo es laut kirgisischen Recht zu sein hatte gar nicht angebracht werden konnte. Da nutzte auch der Hinweis auf den Paragrafen im dicken auf russisch verfassten Verkehrsgesetzhandbuch nichts und trotzdem musste Lorenz wieder die Pascharnik-Keule («Pascharnik» heissen die Feuerwehrmänner auf russisch) anwenden und sogar noch ein Saggmässer drauflegen. So konnte er die 130-Franken-Busse abwenden, womit sich unsere Ersparnis bei den Bussengeldern auf mittlerweile 13'000 Com erhöhte.
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SU 7/17 bei Tokmok |
Bei Tokmok (ausgesprochen «Takmak») bogen wir nach Süden ab, nachdem ich die am Ortseingang ausgestellte Su 7/17, ein gefürchteter Kampfbomber aus der Zeit des kalten Kriegs, fotografiert hatte.
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Burana-Turm |
Unsere nächste Station war Бурана (Burana), wo ein altes, grosses Minarett, der Burana-Turm, steht. Dieses Minarett, das ursprünglich über 40 m hoch gewesen war und durch ein starkes Erdbeben zerstört worden ist, ist heute in restauriertem Zustand noch 21 m hoch. Es soll eines der ersten Minarette in Zentralasien gewesen sein und laut gängiger Meinung zur sagenhaften untergegangenen Stadt Balasagun gehört haben.
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Lorenz geniesst die Aussicht - FotoXoff als Schatten dahinter |
Heute kann man den Turm besteigen, was ziemlich abenteuerlich ist, denn die Treppe ist extrem steil und die Stufen sind sehr hoch.
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Aussicht auf die Stein-Ausstellung |
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Burana-Turm vom Fuss aus |
Von oben hat man eine gute Aussicht ins Tal des Flusses Tschüi (ja, der heisst wirklich so!) und auf die Ruinen der ehemaligen Stadt.
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weibliche Steinfigur |
Neben dem Turm liegen eine Anlage mit Steinen, ein Hügel, einige restaurierte Teile der Stadt, ein kleines Museum und ein Souvenirshop.
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etwas phallisch geratene männliche Steinfigur |
Mich hat besonders die Ausstellung der Steine fasziniert, denn es sind verschiedene Arten von bearbeiteten Steinen zu sehen. Zum einen sind Steinfiguren ausgestellt, die in der tief stehenden Abendsonne besonders zur Geltung kamen.
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Steinritzzeichnungen der nomadischen Kirgisen |
Dann hat es auf grosse Kiesel geritzte Zeichnungen, die von den Nomaden im Tien Shan-Gebirge traditionellerweise angefertigt werden und es sind auch ein paar sehr schöne Grabsteine mit arabischen und kirgisischen Inschriften aufgestellt.
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Grabstein |
Die vierte Gruppe sind bearbeitete Steine zur Verrichtung von Arbeiten, so hat es verschiedene kunstvoll bearbeitete Mühlsteine, Quetschsteine und grosse Gewichtssteine.
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kunstvoll gearbeitete Arbeitssteine |
Balasagun wurde von den iranischstämmigen Sodgiern, einem Volk das seit dem 4./3. Jahrtausend v. Chr. eine starke Rolle im Gebiet zwischen den Flüssen Syrdaria und Amudaria (westliches Kirgistan, Tadschikistan, östliches Usbekistan) in der Kontrolle der Handelswege (Seidenstrasse) spielten, gegründet und erstmal im Jahr 912 n.Chr. schriftlich erwähnt. Die Stadt wurde in der zweiten Hälfte des 10. Jhrh. von den türkischen Karachaniden eingenommen und zu deren Hauptstadt erkoren. Mitte des 12. Jhrh. wurde sie von den Kara Kitai, die vor dem Einfall von Dschingis Khan ein Grossreich in Zentralasien führten, eingenommen und ebenfalls zu deren Hauptstadt gemacht. Dschingis Khan nahm die Stadt 1217 ein. Danach verlor sich die Bedeutung der Siedlung. 2014 wurden die Ruinen der Stadt als Bestandteil des seriellen Weltkulturerbes der Seidenstrasse von der UNESCO gewürdigt.
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Muni und französisches Reisemobil |
Auf dem Parkplatz trafen wir ein französisches Paar, das mit seinem Reisemobil unterwegs ist.
Nur wenige Kilometer südlich von Burana liegt der Ort Рот-фронт (Rot-Front/Bergtal), wo wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatten.
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Рот-фронт aus der Ferne |
Рот-фронт (Rot-Front) ist eine ehemals Deutsche Siedlung, die 1927 als Бергтал (Bergtal) von 25 Familien landlosen deutschsprachigen Russenmennoniten gegründet und 1931 in Рот-фронт umbenannt worden ist. Diese 25 Familien stammten aus dem Talas-Tal, das im Norden Kirgisistans und im Süden Kasachstans liegt. Sie mussten ihre Dörfer (Köppental, Gnadental, Gnadenfeld, Nikolaipol) aus Landmangel verlassen.
Die Mennoniten wurden Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Gebiet der Wolga aus Landmangel umgesiedelt nachdem einige Familienväter ausgehandelt hatten, dass ihre Söhne keinen Militärdienst in der Armee des Zaren leisten mussten wenn sie sich bereit erklärten in den äussersten Osten des Reichs umzusiedeln. Da nicht genügend Land vorhanden war und keines zugepachtet werden konnte mussten einige Familien neue Ländereien erschliessen um zu überleben.
Vor dem und im zweiten Weltkrieg starben viele «Russlanddeutsche» unter der Zwangsarbeit in der Trudarmee und nach dem Krieg erholte sich das Dorf nur langsam. In den 60er und 70er Jahren begann der Aufschwung und in den 80ern konnten viele einen Ausreiseantrag stellen, da sie noch Verwandte in Deutschland hatten. Heute leben noch etwa 150 Deutschstämmige im Dorf….wir haben heute mit einem von ihnen geredet. Ihre Deutsche Sprache nennt man «Plautdietsch».
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le Schénératär |
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ausgeliefert! |
Unsere Aufgabe war, Johannes, einem Deutschen der in Рот-фронт den vergangenen Winter verbracht hatte, einen Stromgenerator zu bringen, den wir aus der Schweiz mitgebracht hatten. Das Gerät, ein etwa 80 cm breiter, 50 cm tiefer und 40 cm hoher «Klotz» mit einem Gewicht von rund 40 kg, haben wir durch 13 Länder geschmuggelt ohne dass je ein Zollbeamter wissen wollte, was es ist. Heute konnten wir es einem Freund von Johannes, resp. dessen Frau, ausliefern und damit unseren Auftrag abhaken.
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wohlverdiente Bier zum Sonnenuntergang |
Da die Sonne schon sehr tief stand und wir von der langen Strecke müde waren, suchten wir uns gleich neben dem Dorf einen schönen Platz zum Übernachten, den wir neben einem Feldweg etwas abseits der kleinen Verbindungsstrasse fanden. Es reichte gerade um die Campingstühle aufzustellen und ein wohlverdientes kühles Bier aus dem Dorfladen zum Sonnenuntergang zu trinken bevor es kühl (wir sind auf einer Höhe von etwa 100 m.ü.M.) und dunkel wurde.
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Muni vor dem Tien-Shan-Gebirge |
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Rot-Front im wahrsten Sinn des Wortes |
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Fischaugenperspektive auf den Abendhimmel |
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