Das gleiche Spiel wie gestern: ein feiner Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker mit Wassermelone am Stausee mit grandiosem Ausblick auf eine schöne Bergwelt. Ein perfekter Tagesbeginn.
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Auf der Fahrt zur Ala-Bad-Pass, Chychkan-Tal |
Auch die Vorbereitungen für die Fahrt sind immer die selben: im Shelter alles aufräumen und sturzsicher versorgen, den Fotokoffer rüttelsicher auf die Matratze zurren, alles verschliessen, den wichtigen und sicherheitsrelevanten Rundgang ums Fahrzeug machen, alle wichtigen Komponenten kontrollieren, den Motor starten und warten bis der Betriebsdruck aufgebaut ist, anschnallen, Sonnenbrille aufsetzen…und los kann's gehen.
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Bergflora im Chychkan-Tal |
Zur Übung legte ich heute für die ersten 200 m mit steilem Schotterweg den Geländegang und die Differentialsperren ein und rollte gemächlich den Hügel zur Strasse hoch.
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Am Toktogul-Stausee |
Wir nahmen Abschied von unserem Platz der letzten zwei Tage und brausten auf der nach wie vor perfekten und schön in die Landschaft gelegten Strasse Richtung Norden, Grossrichtung Bischkek. Unsere Route folgte dem Tal des Naryn mit seinen Stauseen, die Hügel und Berge zogen an uns vorbei und es sah zeitweise sehr ähnlich wie in den französischen Alpen oder in Nordspanien aus. Eine sehr grüne und gebirgige Region mit einem recht wilden Fluss, der an gewissen Stellen mit Getöse durch die Engstellen und über die Stromschnellen donnert.
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Toktogul-Stausee von Süden |
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Toktogul-Stausee, Nordufer |
Nach den ersten Steigungen kamen wir zu einem weiteren Stausee, dem Toktogul-Reservoir, der im Vergleich zu vorherigen riesig ist. Er ist der oberste einer ganzen Reihe von Stauseen, die alle ins Ferghana-Tal entwässern. Wir umfuhren diesen leuchtend türkisblauen See östlich und kamen in den Genuss eines grossartigen Panoramas mit See, leuchtend rot-braunen Hügeln und den dahinter liegenden Bergen mit ihren von Schnee und Eis weissen Gipfeln.
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Da drunter ist ein Traktor-Anhänger |
Besonders erwähnenswert scheint mir der nach westlichen Massstäben total überladene Traktor-Anhänger, den wir auf der Fahrt um den Stausee überholten. Er benötigte zwei Spuren für seine Ladung und wir wagten gar nicht daran zu denken, welche Vorschriften auf diesem Transport verletzt wurden.
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Et voilà |
A propos Vorschriften: da war diese Geschwindigkeitsbegrenzung, zuerst auf 40 km/h, dann auf 20 km/h...und etwa 50 m weiter stand ein Polizist mit einer Radarkanone und peilte alle Fahrzeuge an...und schoss ein Foto von unserem Muni mit 32 km/h genau auf Höhe des 20km/h-Schildes. Er winkte uns heraus und Lorenz, der zu diesem Zeitpunkt am Steuer gesessen hatte, musste mit Führerschein und Fahrzeugpapieren beim Kontrollposten antanzen. Ich blieb in der Kabine. Es wurde diskutiert, dann gingen sie ins Häuschen und nach ein paar Minuten kam Lorenz wieder zurück. Er habe die Busse in Höhe von 3000 Com (ca. 40 CHF) nicht bezahlten müssen, weil er sich als Feuerwehrmann geoutet hatte und der Polizist mit einem «Collega! Dawai!» ihn nach einem Händedruck habe gehen lassen.
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Im Chychkan-Tal, Aufstieg zum Ala-Bel-Pass |
Bei Toktogul assen wir in einem Gartenrestaurant am Strassenrand ein einfaches, leichtes Mittagessen und setzten unsere Fahrt Richtung Bischkek unvermittelt auf der nach wie vor perfekten Strasse fort und kamen dem Fluss Chychkan folgend langsam wieder ins Gebirge.
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Chychkan-Tal |
Immer wieder fuhren wir an sehr schön und lauschig in die Vegetation gebauten Restaurants vorbei, sahen Dutzende von Bienenhaussiedlungen und die davor an der Strasse aufgebauten Verkaufsstände für den in dieser Region literweise von den emsigen Arbeiterinnen hergestellten Honig...und je höher wir kamen desto häufiger wurden die Jurten.
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Bienenhäuser am Strassenrand inkl. Verkauf |
In vielen dieser Jurten, die oft gehäuft in siedlungsähnlicher Form vorkommen, werden den Vorbeifahrenden typische lokale Gerichte angeboten. Einige sind kleine Läden, vor denen die Produkte, meist Käsebällchen, Honig und Stutenmilch, verkaufsfördernd platziert sind. Manchmal haben die Bewohner der Jurten eine Einfahrt und Parkplätze mit weiss gestrichenen Steinen markiert und die gleiche Infrastruktur wie bei jedem Restaurant aufgebaut: Toiletten, meist etwas abseits, sowie ein kleines Waschbecken um sich vor dem Essen die Hände waschen zu können.
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Bienenhaus-Wagen |
Natürlich sind da auch immer Pferde. Jetzt, im Frühsommer, sind besonders viele Fohlen zu sehen. Ein paar Mal hatte ich den Eindruck, dass auch Pferde verkauft werden...zumindest sah es so aus, als würden Verkäufer und Käufer miteinander diskutieren und die Tiere waren zusammengetrieben wie wenn sie präsentiert werden sollten.
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Jurten-Restaurants |
Sehr oft steht neben der Jurte auch ein Bauwagen – wir würden wohl neudeutsch «tiny house» sagen. Wozu diese Wagen dienen haben wir noch nicht herausgefunden.
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Jurte mit Tiny-House |
Irgendwann nahm die Vegetation ab, die Bäume und dann die Büsche verschwanden, bis nur noch magere Weiden die Hänge und Ebenen bedeckten. Wir kamen der Passhöhe des Ala-Bel-Passes mit einer Höhe von 3175 m.ü.M. immer näher. Oben schossen wir logischerweise ein Passfoto.
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Hochalpine Situation mit Jurte und Schafherde |
Auf der anderen Seite ging es nicht so steil hinunter wie wir aufgestiegen waren, sondern wir erreichten auf einer Gebirgsautobahn mit gemässigter Neigung bald ein breites Hochtal, wo wieder Jurten in der kargen Landschaft das Bild prägten. Jetzt aber richtig viele Jurten. Ganze Siedlungen. Hier scheinen die Reisenden und die beruflich Fahrenden sich zu verpflegen und einzukehren.
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Jurte |
Am späteren Nachmittag, wir fuhren immer noch in diesem Hochtal, entschlossen wir uns, auch eine dieser Jurten zu besuchen, da die nächste grössere Ortschaft zu weit entfernt war um sie heute noch zu erreichen. Unser Vorrat an Essbarem war nicht mehr grossartig und wir hatten vor, in einem Restaurant zu essen. Da kamen uns die Restaurant-Jurten grad gelegen.
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Pferdeverkauf? |
Beim Hinweisschild für das «Turan Camp» bogen wir in einen kleinen Feldweg ab und stiegen auf eine Anhöhe, wo ein paar Jurten und ein paar Container lagen. Sezim, die junge, sehr gut Englisch sprechende Managerin, bot uns an, in ihrem Camp zu essen….den Lastwagen könnten wir problemlos neben ihrem Camp für die Nacht stehen lassen.
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Xoff auf dem Ala-Bei-Pass |
Da noch eine grössere Gruppe eintreffen sollte, die die hier angebotene zehntägige Stutenmilch-Therapie machen wollte, setzten wir uns gern an einen Tisch in der Speseisaal-Jurte und bekamen ein feines, einfaches Mahl aufgetischt. Sie meinte, sie wisse nicht, wie man dieses Gericht auf Englisch nennt...aber in Kirgisistan heisse es Gulasch.
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zweistöckige Jurte |
Die Stutenmilch-Therapie bestht darin, dass man ab morgens 8 Uhr bis um 16 Uhr alle zwei Stunden 2 dl Stutenmilch trinkt. Das reinige den Körper und putze den Verdauungstrakt durch...ich kann mir nach der Erfahrung mit der Kamelmilch in Kasachstan sehr gut vorstellen wie sich das anfühlt und habe für mich beschlossen, dass ich diese Therapie lieber nicht antrete…;)
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Jurten am Talrand |
Sezim wohnt normalerweise in Bischkek und betreut als studierte Hotel- und Tourismusmanagerin den Familienbetrieb des Jurten-Camps diesen Sommer, nachdem ihr Vater erst kürzlich gestorben ist. Ein Bekannter von ihr, Manas, der ebenfalls aus Bischkek stammt und Sänger ist, gesellte sich zu uns und wir hatten ein angeregtes und lustiges Gespräch während des Abendessens. Er vermittelte uns viele Informationen über Kirgisistan und Bischkek. So verglichen wir die politischen Systeme unserer beiden Länder miteinander, redeten über die Bildungssysteme und über die sozialen und gesellschaftlichen Besonderheiten beider Länder.
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Wohn-Wagen bei einem Laden |
Manas meinte, das Schulsystem in vielen Teilen des Landes sei in einem desolaten Zustand, weil viele Lehrer nur über wenig Fachkenntnisse verfügten und teilweise Fächer unterrichteten, von denen sie keine Ahnung hätten. So habe er an der Universität Kommilitonen angetroffen, die nicht einmal richtig lesen und schreiben konnten. Da es sehr leicht sei, sich eine Dissertation oder gar einen Doktortitel zu kaufen würden auch viele Professoren gar nicht über eine fundierte Ausbildung mit entsprechenden Fachkenntnissen verfügen. Korruption sei ein grosses Problem. Als besonders plakatives Beispiel nannte er den Umstand, dass beim Besuch der Staatsmänner vor ein paar Tagen in Bischkek alles auf Vordermann gebracht worden war und sogar die Polizisten für einmal korrekte Arbeit geleistet hätten. Auf dem Papier sei ihr politisches System zwar gut und recht, aber in Tat und Wahrheit lebten sie in einer präsidialen Diktatur wo wie Mächtigen tun und lassen könnten was sie wollten.
Ich kann mir vorstellen, dass dies die Anfangsschwierigkeiten sind, die in allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion bestehen, denn der Übergang von einem zentral gesteuerten Regime zu einer demokratischen Staatsform lässt sich nicht in einem Aufwisch erledigen, sondern bedarf einer Entwicklung, die über mehrere Generationen vollzogen werden muss und mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist.
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Turan-Camp |
Er erzählte auch, dass Kirgisistan wohl das einzige zentralsiatische Land sei, wo die LGBT-Bewegung auf eine gewisse Toleranz stosse und dass ich Bischkek sogar eine vom Bürgermeister organsierte LGBT-Parade stattgefunden habe und dass es dort entsprechende Clubs und Bars gebe. Das verwunderte mich sehr, ist doch gerade in den Folgeländern der UdSSR die Lage der LGBT-Gemeinde sehr schwierig und werden nicht-heterosexuelle systematisch diskriminert.
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Esszimmer-Jurte |
Eine kirgisische Redensart, die er im Zusammenhang mit unseren Plänen, resp. unserer Reiseplanung zum Besten gegeben hat, hat mir besonders gefallen: «Wenn Du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähl ihm von deinen Plänen»
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Abendstimmung im Jurtencamp |
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