Fast hätte es heute keinen Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker gegeben, denn unser Generator wollte auf der Höhe von 2900 m.ü.M. nicht anspringen. Scheinbar machte ihm die Höhe Mühe und er rumpelte, wollte aber nicht laufen. Lorenz redete ihm gut zu und brachte ihn zum Laufen. So gab's einen Tee und auch eine Wäsche konnte Lenz noch machen, denn ihm waren die sauberen T-Shirts ausgegangen.
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Der Knollen, mit dem alles beginnt |
Ich nutzte die Gelegenheit und machte ein paar Fotos von einer Pflanze, die hier überall vorkommt. Ihre knallgelben Blütenstände kommen in den rotbraunen Steinlandschaften besonders gut zur Geltung. Der Blütenstand entwickelt sich aus einem grossen knollenartigen Gebilde.
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Aussicht talaufwärts |
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Stippvisite von Susanne mit ihrem Reisemobil |
Bevor wir losfuhren – heute war nur eine kurze Etappe auf dem Plan, denn wir wollten auf etwa 4500 m.ü.M. den nächsten Akklimatisationshalt machen – stoppte Susanne mit ihrem Reisemobil auf ihrer Vorbeifahrt. Sie hatte einen Radfahrer mitgenommen, den sie etwas weiter wieder absetzen wollte. Der Anlasser ihres Mercedes sei defekt, so dass sie den Motor wohl nur noch an abschüssigen Stellen abschalten kann. Thomas, der parallel zu ihr mit dem Motorrad fährt, hatte am Vortag scheinbar einen Hund überfahren, wodurch seine Zusatzscheinwerfer abgerissen worden sind. Und einer der anderen Motorradfahrer, mit denen sie fuhren, hatte in einem grossen Schlagloch die Federgabel seiner BMW geknickt, so dass ein Weiterfahren nicht zu denken war. Er muss sich wohl aus Deutschland eine neue Gabel schicken lassen.
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abenteuerliche Fussgängerbrücke |
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Muni vor dem Neubau |
Die Fahrt dauerte auf der guten Strasse nur etwas mehr als zwei Stunden, als wir in Jelondy, einem kleinen Dorf auf 3560 m.ü.M. ankamen. Schon von weitem sahen wir die Dampfschwaden, die aus den heissen Quellen aufstiegen, die wir besuchen wollten. Ein grosses rot-gelbes Gebäude sah wie ein Hotel aus – es war allerdings überhaupt nicht angeschrieben. Lorenz ging fragen während ich im Muni wartete und brachte gute Nachrichten: es sei ein Sanatorium mit Badeanstalt. Also checkten wir ein, während draussen leichter Schneefall begann.
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Aussicht von der Terrasse des Sanatoriums |
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es dampft überall im Dorf |
Ich ging zuerst auf Erkundungstour durch's Dorf, wo gerade viel gebaut wird. Die Leute hier scheinen sich auf eine touristische Zukunft vorzubereiten, denn es waren einige Gebäude im Bau, die alle ein grosses Bad enthalten. Das kochend heisse, schwefelhaltige Wasser wird aus der Tiefe gezapft und in abenteuerlichen Konstruktionen auf verschiedene Rohre und Schläuche verteilt. Überall spritzt das Wasser aus lecken Stellen, einige Rohre sind notdürftig verschlossen und es liegt ziemlich viel Unrat umher. Das ausgelaufene Wasser fliesst in Rinnsalen und kleinen Bächen durch die Siedlung und überall steigt Dampf auf. Vegetation hat es kaum, es ist eher eine Steinwüste, in der die Häuser stehen.
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alte Badeanstalt, schon lange nicht mehr in Betrieb |
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Heisswasserfassung, etwas abenteuerlich |
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Rinnsal mit warmem Mischwasser |
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pittoresker Schrott |
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heiss, sehr heiss! |
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Schwefel und Rost |
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stachelige Vegetation |
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mitten im Betrieb zu Schrott geworden |
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Idylle am heissen Bach |
Das Sanatorium aus Sowjetzeiten ist heruntergekommen, nebenan auf dem Gelände wird aber gerade ein neues Hotel gebaut, das ebenfalls ein Bad enthält. Als ich ins Männer-Bad ging, waren dort schon drei Männer und drei Buben in dem etwa 8 mal 8 Meter grossen Becken. Das Wasser war so heiß, dass ich befürchtete, mich zu verbrennen. Aber mit ein wenig Angewöhnung konnte ich auch ins Wasser, in dem niemand lange blieb. Wir kamen ins Gespräch, denn einige sprachen gut Englisch. Der älteste, Ali, ein ehemaliger Arzt, der hier geboren worden war und immer wieder in sein Dorf zurückkommt um zu baden, war 70 Jahre alt. Er hatte seine Ausbildung in der Ukraine gemacht und war lange in Kasachstan Arzt gewesen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war er im Bürgerkrieg in Tadschikistan Gesundheitsminister und hat ein AIDS-Programm hier aufgezogen. Er kenne die Schweiz recht gut, weil er als Mitglied einer UNO-Entwicklungs-Organisation oft in Genf gewesen sei. Es war sehr interessant, ihm zuzuhören und von ihm einiges zu erfahren über das Land, seine Bewohner, die Probleme und auch über die Unterschiede zwischen der Sowjetzeit und der Unabhängigkeit. Er meinte, in der Sowjet-Ära seien die Menschen näher beieinander gewesen und das Sozialleben sei reicher gewesen. Heute würde jeder nur noch für sich schauen und die freie Wirtschaft sei kein Segen.
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Neubau-Projekt in Stein |
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klassischer Lehmbau |
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Fenster unbewohnter Gebäude werden zugemauert |
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Party auf dem Hotelzimmer |
Am Abend lud er mich in sein Zimmer ein, wo sein Bruder, ein jüngerer Onkel, zwei Einheimische, die drei Knaben und ich uns um einen kleinen Tisch in dem Zweibettzimmer drängten und viel erzählten, fragten, erfuhren. Ali meinte, er komme seit 7 Jahren regelmässig hierhin um zu sterben – aber jedes Mal kehre er gesund wieder nach Duschanbe zurück, wo er seit den Neunzigerjahren lebt.
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Doktor Ali und einer seiner Neffen |
Dann kam der Wodka auf den Tisch und Lorenz, der ein Nickerchen gemacht hatte, kam auch dazu. Ich trank vorsichtig vom Schnaps und meinte, den Konsum im Griff zu haben, während die Gespräche immer angeregter und lustiger wurden und Lorenz im Bruder Alis einen versierten Backgammonspieler gefunden hatte, mit dem er auf dem einen Bett Partie um Partie spielte.
Dass Lorenz irgendwann gegangen war und was danach kam weiss ich nicht mehr. Die geübten Trinker müssen mich richtiggehend abgefüllt haben, denn ich hatte einen Filmriss und konnte mich an gar nicht mehr erinnern. Scheinbar mussten sie mich in unser Zimmer gleich nebenan tragen und Lorenz erzählte mir heute morgen, dass ich versucht hätte meine Fototasche als Schuhe anzuziehen.
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die Kehrseite der Medaille: wohin mit dem Abfall. Hier: die Kehrrichtverbrennungsstation in Jelondy |
Mein Brummschädel und das allgemeine Unwohlsein nach dem vielen Alkohol zwang mich heute dazu, den ganzen Tag herum zu liegen, viel Wasser zu trinken und die Kopfschmerzen mit Schmerzmitteln zu besänftigen. Jetzt, gegen Abend, geht es wieder einigermassen und ich konnte auch schon ein wenig essen. Sonst gibt es nichts von meinem Kranken-Tag heute zu erzählen...ausser dass ich einmal mehr gemerkt habe, dass Alkohol so gar nicht meins ist und mir weder besonders schmeckt noch gut tut. Das nächste Mal wenn Wodka auf dem Tisch steht werde ich nicht mittrinken.
Ergänzungen von Lorenz:
Da Xoff gestern Abend zum ersten Mal seit unserer Abfahrt nicht in der Lage war, den Blog zu schreiben, tue ich das nun ab seinem Filmriss. Vielleicht nur soviel zum Vorspann: Unsere Zimmernachbarn, eine illustre Truppe aufgestellter Tadjiken, luden uns zu sich aufs Zimmer zum Essen und Trinken. Serviert wurden gehäufte Teller feinstes Yak-Fleisch, Tomaten, Gurken, Brot und – eben – Wodka. Ich spielte eine spannende Partie Nardi auf einem Bett gegen Muslim und war deshalb in der vorteilhaften Lage, fast jede Wodka-Runde mit den Würfeln in der einen und einem Spielstein in der anderen Hand zu umgehen. Xoff hingegen hielt mit dem ehemaligen Minister für Gesundheit (!!!) von Tadjikistan tapfer Runde für Runde mit. Den Ausgang kann man leicht erahnen: Den Minister traf ich heute Morgen um 8.00 Uhr quietschfidel mit ein paar Kumpels im Speisesaal, auf dem Tisch das Frühstück, gekochte Eier, Milchreis, Tomaten, Gurken und – natürlich – Wodka. Xoff hingegen...aber das erzählt er Euch dann sicher gerne selbst. Bis zum Filmriss halt.
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Bauarbeiter und Autoreparatur |
Die ganze Nacht schneite es und heute Morgen waren alle Berge und der Muni bis ins Tal mit ca. 2 cm Neuschnee frisch gepuderzuckert. Rasch verzogen sich dann aber die Wolken und die strahlende Sonne frass die weisse Pracht innert Kürze weg und die Temperatur stieg auf T-Shirt-Höhe.
Ich wollte eigentlich die Schrauben, welche das Federpaket der Hinterachse fixieren nochmals nachziehen, fand mich allerdings subito in einer Runde aufgestellter und fröhlicher Tadjiken wieder, die direkt neben dem Muni damit beschäftigt waren, bei einem Auto den vorderen Stossdämpfer zu reparieren.
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der Schaden |
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die Werkzeugkiste der Baustelle |
Eigentlich sind die Männer Bauarbeiter, die gerade ein neues Hotel bauen, aber diese Baustelle musste für die Autoreparatur warten. Bald zeigte sich jedoch, dass das vorhandene Bau-Werkzeug mehr schlecht als recht für den Ausbau und die Reparatur des Stossdämpfers reichte und fortan rief der immer mal wieder wechselnde Chefmechaniker einfach, was er brauchte und gemeinsam suchten – und fanden – wir grösstenteils alle nötigen Werkzeuge direkt ab Muni: Rollgabelschlüsse, Vorschlaghammer, Elektroden zum Schweissen, Schweisshelm, Feldstecher (?), Rohrzange, Motorenöl, Feilen, Schleifpapier, Rostlöser, Wagenheber, Unterlagsscheiben, Spannset usw.. Mit der Zeit machten sich die Männer einen richtigen Spass daraus, einfach nach irgendeinem Werkzeug zu fragen, nur um zu schauen, ob ich „Da“ (Ja) sage und es hervorzaubere!
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zusammengeschweisster Stossdämpfer |
Der Stossdämpfer wurde wieder zusammengeschweisst und -gehämmert, eingebaut und der stoisch wartende Fahrer rumpelte glücklich und ohne ein einziges Schlagloch auszulassen vom Platz! Danach lagen wir zu viert gemeinsam unter dem Muni und zogen mit vereinten Kräften die Schrauben der Federpakete nach. Da der Muni an einer Druckleitung des Nebenkreislaufes etwas Luft abbläst, ich aber solange es geht und wir nicht bei einer LKW-Garage stehen nicht selber daran rumwerkeln will, bereitete ich für den Notfall auf 4500 Metern ein entsprechendes Ersatzstück vor, falls sich das Teil vorher ganz verabschiedet. Dazu fehlte mir ein Stück passende Luftdruckleitung, worauf die Männer kurzerhand von ihrem Bau-Kompressorschlauch 20 cm Schlauch für mich abschnitten! Nachher luden sie mich zum Tee ein, wobei ich eine Runde Farmer-Stängel beisteuerte, welche mit Begeisterung verzehrt wurden. Ich fühle mich richtig wohl unter diesen Menschen: Obwohl niemand die Sprache des andern spricht, man findet immer einen Weg, sich zu verständigen und vor allem: Es wird viel viel viel gelacht!!!
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Nardi - ähnlich Backgammon |
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Sanatoriumskoch |
Natürlich hat sich im ganzen Hotel die Geschichte von Xoff und dem Ex-Minister, bei den Gästen und den Angestellten längst herumgesprochen und an jeder Ecke fragen mich besorgte Menschen: Gristov ok? Ich deute dann an, dass er einen schwindligen Kopf hat, worauf alle erleichtert und mit einem wohlwissenden Lachen antworten.
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