Voraussichtliche Reisedaten

Montag, 10. Juni 2019

10. Juni 2019 | Хоруг (Chorug) (TJ) | 130 km | Keinen Millimeter!

Es mag verwundern, dass wir nach 130 km wieder in Хоруг (Chorug) sind, aber das hat seine Gründe.

Es lag nicht daran, dass mir der Schwarztee, das Milchpulver oder der Zucker ausgegangen wäre – nein! - diesen lebenswichtigen Frühstücks-Hauptteil habe ich auch heute in vollen Zügen geniessen können.

Es lag auch nicht daran, dass Lorenz oder ich die Höhe nicht ertragen hätten – nein! - wir fuhren gemütlich los und wussten, dass wir nur etwa 500 Höhenmeter steigen wollten um einen weiteren Aklimatisations-Schritt zu machen. Gleich zu Beginn der heutigen Etappe erwartete uns an einer Stelle im Tal des – jetzt – Flusses Gunt, wo rechterhand eine steile, ewig hohe Felswand lag und linkerhand der wilde, in einem durchwühlten Kiesbett tosende Fluss über eine Schwelle ins Tal donnerte, eine holprige Naturstrasse und wir befürchteten schon Schlimmes. Sollte der Pamir-Highway ebenso holprig wie die Strecke der vergangenen Tage sein?

Aber nach der engen Stelle im Tal, wo unter anderem international unterstützte Projekte zur Wasserfassung für Trink- und Bewässerungswasser gebaut, eine neue Brücke erstellt und das Flussbett scheinbar komplett umgestaltet worden sind, begann schon bald eine fast perfekte Strasse mit sehr wenigen schlaglöchrigen Stellen und wenigen Dellen, so dass wir ganz zügig voran kamen und schon nach rund 55 km die angestrebte Höhe von etwa 2900 m.ü.M. erreicht hatten.

Lorenz parkte den Muni an der Strasse an einem vor Steinschlag sicheren Ort hinter einem kleinen Dorf und wir überlegten, was wir mit dem nicht einmal halb vergangenen Tag noch anstellen sollten. Ich wollte eine Schwarztee-mit–Milch(pulver)–und–viel-Zucker-Orgie veranstalten und er wollte ein paar technische Aspekte unseres Fahrzeugs überprüfen, nachdem er im Handbuch der Deutschen Armee einiges nachgelesen hatte. Draussen regnete es leicht, die Wolken hingen nur wenige Hundert Meter über uns und ein paar Kinder gingen auf ihrem Heimweg von der Schule an uns vorbei und blieben stehen um uns zuzuschauen, wie wir in der Kabine sassen und berieten.
Zaungäste

Während ich ein paar Nachrichten an meine Liebsten zu Hause vorbereitete, die ich später, wenn wir dann wieder einmal Internetzugang hätten, abschicken wollte und gerade den ersten Krug Schwarztee aufgesetzt hatte, machte er einen Rundgang um den Muni und kam plötzlich – jetzt kommt der Grund für unsere 130 km lange Schleife zurück nach Хоруг (Chorug) – ans Beifahrerfenster und erzählte, den Schreck noch im Nacken, dass eine Blattfeder gebrochen sei!
gebrochene Blattfededer

Am rechten Hinterrad war effektiv die oberste Blattfeder gebrochen und stand gefährlich schräg auf dem Federblock gegen den Reifen...es hat nur wenig gefehlt und sie hätte am Reifen geraspelt und ihn aufschlitzen können! Nun hatte auch ich einen Schrecken und stand ebenso ratlos wie Lorenz im Regen neben unserem Heim auf Rädern.

Wir beratschlagten und kamen zum Schluss, dass uns hier in der Pampa nichts anderes übrig blieb, als eine notdürftige Reparatur vorzunehmen, die Blattfeder wieder an ihren Platz zu rücken, zu fixieren und dann zurück nach Хоруг (Chorug) zu fahren, um eine Reparatur vornehmen zu lassen.
abenteuerliches Unterstützen

Wie das Federblatt hatte brechen können, ob es vielleicht schon angerissen gewesen war, ob wir dem Fahrzeug zu grosse Belastungen zugemutet hatten, ob einer der Schläge in einem Schlagloch oder eine Delle in der Strasse der Grund für den Schaden waren konnten wir nicht schlüssig eruieren...eines war jedoch klar: ohne eine Reparatur konnten wir nicht weiter fahren, denn zu gross war das Risiko, dass auch das nächste Blatt brechen könnte und die Federung dann komplett im Eimer wäre. Weiter weg von Хоруг (Chorug), der letzten Stadt für mehrere Hundert Kilometer, wäre eine Reparatur noch schwieriger zu organisieren und würde uns bestimmt viel mehr Zeit kosten. Wir waren uns nicht einmal sicher, ob wir es bis Хоруг (Chorug) schaffen würden, wenn das Blatt erst einmal wieder an seinem Ort sein würde.
rechts der Spalt für den Federstahl

Wie bringt man aber ein Federblatt wieder an seine angestammte Position?
Ganz sicher musste das Chassis des Fahrzeugs gehoben werden, so dass die Räder auf dem Boden blieben und somit die Federung entlastet wird. Also unterstellten wir den Wagenheber, der natürlich einen viel zu kleinen Hub hat um auf einer Höhe von fast einem Meter anzusetzen, abenteuerlich mit den Kanthölzern, die wir für genau solche Situationen mitführen. Der Lastwagen musste zuverlässig daran gehindert werden, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, sonst würde unsere Konstruktion wie ein Kartenhaus zusammenbrechen: zusätzlich zur Federspeicherbremse legten wir Keile unter die Räder.
Es gelang uns, den Rahmen hinten rechts so anzuheben, dass der Spalt zwischen den unteren Federblättern und der Aufnahme so gross war, dass wir mit einem Hammer und einem Zulagenholz das Blatt an seine Position zurückbringen konnten.

Erster Schritt gelungen!
wieder zurück an seiner Position

Als der Wagenheber entfernt war, lag das Federblatt wieder da wie wenn es nie woanders gewesen wäre – aber wir trauten der Sache nicht und mussten es an seinem Ort fixieren, denn ein nochmaliges Wegrutschen würde womöglich nicht so glimpflich vonstatten gehen. Mit drei Schraubschellen «banden» wir die Federblätter zusammen, so dass eine seitliche Bewegung in unserer Vorstellung kaum mehr möglich war, und testeten die Konstruktion, indem Lorenz vorsichtig wendete und ich neben dem Rad ging und die Federblätter genauestens beobachtete.

Es tat sich nichts. Alles blieb an seinem Ort. Zweiter Schritt geschafft!
Sicherung durch Schraubschellen

Die nun folgende Rückfahrt nach Хоруг (Chorug) war geprägt von kurzen Stopps um zu schauen, ob die Haltekonstruktion mit den Schraubschellen hielt, was meine Aufgabe war – und ich konnte bei jedem Halt ein erfreutes «keinen Millimeter!» verkünden, was bedeutete, dass das fixierte Blatt sich keinen Millimeter bewegt hatte und nach wie vor an seinem Platz lag, eingeklemmt zwischen dem zweitobersten Blatt und der Auflage.

Dritter Schritt geschafft!
auf der Rückfahrt kurz vor Chorug

Mit Hilfe der App «iOverlander», einer bei Reisenden mit eigenem Fahrzeug sehr beliebten Anwendung, die Informationen über Werkstätten, Restaurants, Banken, Hostels, Campingplätze, Stellplätze in der freien Natur und vieles mehr anbietet, fanden wir die Werkstatt «Aidar Mechanic», die die beste Werkstatt in ganz Tadschikistan sein soll. Ihr Betreiber, eben Aidar, unterrichtet scheinbar an der Universität Fahrzeugmechanik und bildet erfolgreich Lehrlinge und Studenten aus. Er hatte in Deutschland bei Mercedes die Ausbildung gemacht und soll Deutsch sprechen. Also fuhren wir geradewegs - wir nennen das «Punktlandung» - zu der Adresse und trafen Aidar gerade, als er zu einem Termin wegfahren wollte.
Er schaute sich den Schaden kurz an und meinte – auf Deutsch, natürlich - wir sollten am kommenden Morgen um 8 Uhr bei ihm sein, dann werde er sich darum kümmern.

Vierter Schritt geschafft!

Wir konnten den Muni sogar bei ihm auf den Hof stellen und Lorenz wollte beim Lastwagen bleiben (der Wachmann spielt Backgammon) und ich fuhr mit einem Sammeltaxi in die Stadt und suchte mir eine Unterkunft. Das Taxi kostete mich nichts, denn der Taxifahrer hatte eine so grosse Freude, dass er einen Schweizer, der die tadschikische Musik, die in seinem Kleinbus lief, gut fand, befördern durfte, dass er mir den Fahrpreis von 2 Somoni – umgerechnet 20 Rappen – erliess.

Ich liess mich im Zentrum absetzen und ging auf der Suche nach einem Hostel der Hauptstrasse entlang. Leider waren die Hostels und «Homestays», die ich anfragen wollte, entweder geschlossen oder ich wäre der einzige Gast gewesen...ich wollte aber Kontakt zu anderen Reisenden, nicht zuletzt um Informationen über den Pamir-Highway und allfällige andere Routen zu erhalten, die wir nehmen müssten wenn die Reparatur sehr lange dauern oder gar nicht möglich wäre. Ich stand wohl etwas unschlüssig an einer Kreuzung als mich zwei junge asiatische Frauen ansprachen und mich fragten, ob ich eine Unterkunft suche. Sie seien auf der Suche nach einem «Travel-Buddy», jemandem, der sie auf ihrer Reise begleitet. Wir redeten ein wenig miteinander und fanden heraus, dass sie in die entgegengesetzte Richtung wollten und ich erklärte ihnen, dass ich bereits mit einem Freund unterwegs sei. Ich war natürlich sehr erfreut, dass zwei junge Frauen in mir einen potentiellen Mitreisenden gesehen hatten und bedankte mich herzlich für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Sie gaben mir den Tipp, es in der scheinbar berühmten «Pamir Lodge» zu versuchen, wohin ich mich von einem weiteren Taxifahrer – für diesmal 20 Rappen - kutschieren liess.
Pamir Lodge
Sandkasten im Garten

Die Lodge, ein einfaches Hostel, hatte noch Platz und ich erhielt ein Bett in einem 9er-Zimmer, das ich – wie sich später herausstellte – ganz allein belegte. Die Infrastruktur ist sehr einfach: es hat zwei Duschen, mehrere Zimmer, Mehrbett- und Doppelzimmer, einen grossen Aufenthaltsraum mit Küche unter dem Dach und einen grossen Garten. Es ist sehr einfach, gemütlich und liebevoll eingerichtet und gestaltet. Und die Nacht kostet gerade mal 7 Franken.
Samir Lodge von hinten
9er-Zimmer

Als erstes machte ich einen Rundgang und versuchte herauszufinden, wo Duschen, Toiletten, allenfalls ein nicht existierendes Restaurant und vor allem andere Reisende waren. Dabei lernte ich Anna und Locky, ein australisches Studenten-Paar kennen, die eben fünf Wochen zu Fuss in Afghanistan unterwegs gewesen waren und mich, der ich keine Lebensmittel eingekauft und auf ein Restaurant gehofft hatte, spontan zum Abendessen einluden.
Wir assen eine superleckere Tortilla und Reis mit Gewürzen, die sie zubereiteten während ich Fotos schoss und entwickelte.
Anna und Lockt kochen

Es war ein lustiger und spannender Abend mit den Beiden. Leider waren nicht viele andere Reisende im Hostel...morgen sollte eine grössere Gruppe ankommen. Fünf Motorradfahrer aus Italien verschwanden sofort in ihren Zimmern, so dass ich keine Gelegenheit hatte, mit ihnen ins Gespräch zu kommen...ich hoffe, sie morgen früh anzutreffen und allenfalls von Ihnen Informationen zu erhalten.
Aufenthaltsraum unter dem Dach

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