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Samstag, 29. Juni 2019

29. Juni 2019 | Karakol (KG) | Ruhetag

Auch heute wieder: Toast, Butter, Gumfi und der unverzichtbare, obligate, grossartige, leckere, geliebte Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker...ein perfekter Start in einen guten Tag.

orthodoxe Kirche mit Pavillon

Ich machte heute einen Spaziergang durch die Stadt und wollte die orthodoxe Kirche der Heiigen Dreifaltigkeit und die Dunganen Moschee besuchen. Tante Google half mir beim Finden der wohl einzigen zwei historischen Gebäuden der Stadt und ich ging durch Seitenstrassen mit vielen kleinen Häusern. Diese Strassen sind ausnahmslos Naturstrassen, nur die Hauptstrasse sind asphaltiert. Der Raum zwischen den Häusern ist für schweizerische Verhälntisse enorm, so dass vor den Häusern viel Platz bleibt und meist eine reiche Vegetation wachsen kann. Hier blühen verschiedenste, bei uns als Unkraut angesehene Pflanzen und geben den Strassen ein sehr ländliches Aussehen. Fast überall fliessen kleine Bäche entlang der Fahrbahn. Auf den ersten Blick sieht alles ein wenig verwahrlost aus, ist nicht so fein herausgeputzt wie bei uns. Aber diese scheinbare Unordnung schafft Platz für Vegetation und Fauna. So sieht man sehr viele Insekten, Schmetterlinge, Bienen und auch Vögel. Und es liegt absolut kein Unrat herum und auch Abfall findet sich gar nicht. Die Menschen sind sehr Sauberkeitsbewusst und lassen praktisch nicht liegen.

typisches Haus in einer Seitenstrasse in Karakol mit Kirschbäumen im Garten

Viele Häuser sehen von Aussen – innen habe ich sie nicht besichtigen können – heruntergekommen aus. Aber man sieht sehr oft schöne Verzierungen und kunstvoll gearbeitete Dachfirste und Fensterläden. In den Gärten wachsen Obstbäume – im Moment sind die Kirschen reif. Viele Bäume sind reich behangen und an den Überlandstrassen werden die Kirschen in kunstvoll aufgefädelten Bündeln verkauft.

Quatierstrasse mit üppiger Strassenrandvegetation

Mit einer Punktlandung stand ich auf einmal vor der orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, welche in einem waldähnlichen Geviert liegt und mit ihren grünen Dächern von weitem auffällt. Als ich durch den Eingang in der Umfriedungsmauer ging, begrüsste mich die Holzkirche von ihrer schönsten Seite. Die Sonne schien, da es fast Mittag war, steil von oben in leichtem Gegenlicht und zwischen Eingangstor und Kirche lag ein sehr schön gepflegter Rosen- und Blumengarten. Sie ist 1895 erbaut worden und diente während der Sowjetzeit als Club und als Warenlager. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs wurde sie restauriert und ist heute wieder in Gebrauch.

Orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit im Birkenwaldstück

Als ich den Innenraum betrat fand gerade eineTaufe statt. Die drei Kinder, ein Neugeborenes, ein Kleinkind und ein etwa dreijähriger Junge, waren nackt und der Priester segnete sie während sie von ihrem Vater auf dem Arm gehalten wurden. Die Eltern mit ihren Kindern sowie einigen Verwandten standen in einem Halbkreis vor dem Altar. Es war eine sehr schöne Szenerie, die ich gern fotografiert hätte. Aber wie in allen Gotteshäusern in Zentralasien ist das Fotografieren nicht erlaubt. So beobachtete ich die Situation aus gebührender Distanz und ging nach der Zeremonie still wieder hinaus.

Details an altem Wohnhaus

Draussen war gerade eine Gruppe malaysischer Touristen angekommen, die sehr damit beschäftigt waren, im Gegenlicht Selfies zu machen und am Ende vor der Kirche posierten.

kunstvolle Holzarbeiten

Nicht sehr weit von der Kirche entfernt lag die Dunganen Moschee, die 1907 bis 1910 vollständig ohne metallene Nägel erbaut worden ist. Die Dunganen sind eine muslimisch-chinsische Minderheit, die einen eigenen Dialekt sprechen. Sie verliessen China Ende des 19. Jahrhunderts nach den Dunganen-Aufständen, bei denen schätzungsweise über 10 Millionen Menschen ums Leben kamen und die von wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen chinesischen und muslimischen Arbeitern ausgelöst worden waren.

malaysische Touristengruppe in Pose

Die Moschee ist sehr einfach gehalten. Ein kleines Holztürmchen mit viereckigem Grundriss steht naben dem Hauptgebäude. Die Aussenmauern beider Gebäude sind in einem sehr schönen Blau gestrichen, das wunderbar mit dem stahlblauen Himmel über Karakol an diesem Tag harmonierte. Die Holzarbeiten sind sehr kunstvoll und weisen viele geschnitzte Verzierungen auf. Es ist kaum zu glauben, dass das gesamte Gebäude ohne einen einzigen Metallnagel gebaut worden war – scheinbar beherrschten die Erbauer die Kunst der Holzverbindungen perfekt.

Dungamen-Moschee mit blauem Minarett

Auf meinem weiteren Spaziergang durchquerte ich zwei Parks und kam vor dem Regierungsgebäude der Provins Karakol vorbei, wo überall Statuen von wichtigen Persönlichkeiten aufgestellt sind. Der Personenkult, ein Relikt aus Sowjetzeiten, ist nach wie vor allgegenwärtig und die Statuen sind meist in heroischen Posen in Metallguss oder Stein gearbeitet. Viele dieser Helden müssen ihre Verdienste im zweiten Weltkrieg erlangt haben, denn der grösste Teil ist in den Kriegsjahren gestorben. Einige wurden keine Dreissig Jahre alt! Und ich fand nur eine einzige Frau unter den vielen Statuen und Büsten.

auch hier: kunstvolle Holzarbeiten...alles ohne Metallnägel

In einem Park, wo ein Springbrunnen sein kühlendes Nass versprüht, badeten drei Jungs und spielten mit dem Wasser während die Gärtner aus dem Brunnen Wasser für die Bewässerung der Blumenbeete entnahmen. Auf dem angrenzenden Platz wurde ein Podest mit modernster Technik für ein Fest aufgebaut – ich konnte allerdings nicht in Erfahrung bringen, um welches Fest oder Jubiläum es sich handelte.

Wasserspiele im Park

Im zweiten, grossen Stadtpark, wo sich das Siegesmonument für den zweiten Weltkrieg befindet, dessen ewige Flamme schon vor Jahren erloschen sein muss und die riesige Mutter-Russland-Statur nicht mehr beleuchtet, stehen viele goldene Büsten von Presönlichkeiten, die mich ein wenig an die Skulpturen von Eva Aeppli im Skulpturengarten von Spoerri in der Toskana erinnerten und ich musste lachen, denn jene gefallen mir in ihrer grotesken Ausarbeitung viel besser als die grimmig dreinblickenden Genossen im Karakoler Stadtpark. Ganz zu hinterst im Park hatte eine Hochzeitsgesellschaft gerade ein Fotoshooting vor einem Monument, das an den mittelasiatischen Aufstand von 1916 erinnerte. Auch hier wurde gegen die Sonne fotografiert – das scheint eine Vorliebe asiatischer Fotografen zu sein.

Siegermonument mit grimmigen Goldköpfen

Als ich wieder im «Nice Hostel» ankam, waren Werner und Lorenz daran, eine Lösung für unser Druckluftproblem zu finden – aber es gab keine Lösung ohne entsprechendes Werkzeug und so müssen wir hoffen, dass wir nicht in die Lage kommen werden, auf den restlichen rund 8000 km die Differentialsperren einschalten zu müssen. Da wir diese aber bisher noch nicht benötigt hatten, stehen unsere Chancen gut.

Plastikblumenläden vor der orthodoxen Kirche

Scheinbar geht es Lorenz wie mir, was die Sättigung an Erlebnissen angeht, denn er kam anschliessend mit dem Vorschlag, Karakol, resp. den morgen stattfindenden Vieh- und Pferdemarkt als Wendepunkt unserer Reise zu sehen und uns auf die Heimreise zu begeben. Das bedeutet, dass wir von Karakol nach Kasachstan (Semei) nach Russland fahren werden und dort über Барнаул (Barnaul), Новосибирск (Novosibirsk), Омск (Omsk), Челябинск (Tscheliabinsk), Уфа (Ufa) und Самара (Samara) in die Ukraine (Kiev) fahren werden. Von dort über Polen, Tschechien und Deutschland in die Schweiz zurückkehren werden. Das sind laut Tante Google rund 8100 km.

gepflegtes Blumenbeet und orthodoxe Kirche

Ich war sofort einverstanden, obwohl damit ein Teil unserer ursprünglichen Idee verloren geht. Aber da unser Plan nie in Stein gemeisselt war und wir immer für Veränderungen offen waren, passt diese Planänderung sehr gut ins Konzept der Reise im Rahmen von «Fahr-East». Wir sind im Fernen Osten angekommen und haben sehr viel gesehen, haben einige Länder bereist und viele Kilometer durch verschiedenste Landschaften zurückgelegt. Für mich war es die erste so grosse Reise und ich war nicht gefasst auf die Abermillionen von Eindrücken, die auf mich einwirken würden. Lorenz ging es trotz seiner grösseren Reiseerfahrung wohl ähnlich.

monochrome Impression von der Dunganen-Moschee

Irgendwann wird jeder noch so spektakuläre Berg, jedes noch so romantische Tal, jede noch so herausragende Landschaft zu einer Wiederholung von etwas bereits Erlebten und verliert allein deshalb auch ein wenig an Reiz. Wir wollen das bisher Erlebte nicht durch Wiederholungen verwässern lassen und wollen auch unsere Aufnahmefähigkeit nicht überstrapazieren. Wenn das Gefühl, genug und mehr als genug erlebt zu haben und das Erlebte zuerst einmal sacken lassen zu müssen, ist Zeit umzukehren. Und dieser Zeitpunkt ist – erstaunlicherweise – bei uns beiden etwa zum gleichen Zeitpunkt gekommen.

auch der Himmel macht mit beim monochromen Farbenspiel

Wir wollen auch nicht, nur weil wir jetzt so nah am Altai-Gebirge oder an der Mongolei oder am Baikalsee oder an China oder an irgendeinem anderen wunderbaren Ort sind, auch noch dorthin und hierhin fahren...es gäbe in all den bisher besuchten Ländern und auch rundherum noch Tausende und Abertausende wunderbarer Orte zu entdecken, jedoch sprengt die Vielfalt und die schiere Grösse dieses Erdteils unser geistiges Fassungsvermögen.

Dunganen-Moschee mit Rosengarten

Lieber kehren wir zu einem Zeitpunkt um, zu dem wir noch zufrieden und glücklich über viel Schönes und Unvergessliches sind als dass wir uns in einem fixen Plan verrennen und am Ende zerschlagen und übermüde in eine uns fremd gewordene Heimat zurück kehren.

der letzte Film spielte vor Jahren im örtlichen Kino

Natürlich werden wir nicht schon übermorgen zurück in der Schweiz sein, sondern werden die verbleibenden über 8000 km genauso verantwortungsbewusst und sorgfältig zurücklegen wie wir bisher gefahren sind. Wir werden vor allem auf den russischen Transitstrecken, die hoffentlich so gut ausgebaut sind wie wir immer wieder hören, grosse Tagesetappen zurücklegen. Dort wird aber das Durchschnittstempo höher sein und wir werden uns in den unendlichen Wäldern Sibiriens, wo links und rechts der Strasse nichts als Bäume – meist Birken – stehen, abwechselnd und mit ausgiebigen, professionellen Pausen wie richtige Lastwagenfahrer bewegen.

die Touristen-Information unter Renovationszwang

Selbstverständlich wird es bis zur Rückkehr weiter Blogeinträge geben, wenn immer möglich täglich und hoffentlich spannend und lustig und mit einem möglichst grossen Informationsgehalt...ganz im Stil der bisherigen Tagesberichte.

pittoreske Parkbank

Angestrebtes Ankunftsziel in der Schweiz ist Ende Juli, was wir aber nicht um alles in der Welt erreichen müssen, denn die Sicherheit und Unversehrtheit geht vor.

Persönlichkeiten in vielsagender Pose

Heute Abend wir Vreni noch einmal ihre leckeren Spaghetti kochen und wir werden einen weiteren gemütlichen Abend mit den zwei Ducatisti verbringen.

auch zerfallende Gartentore haben ihren (fotografischen) Reiz


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