Voraussichtliche Reisedaten

Mittwoch, 15. Mai 2019

15. Mai 2019 | Энгельс (Engels) - Озинки (Osinki) (RU) | 369 km

Zur Abwechslung begann der Tag heute mal tödlich.

Гостиница bei Энгельс
Ein Schaf musste, kurz nachdem ich aufgewacht war und draussen vor unserem fahrenden Schlafzimmer Luft in Form einer selbstgedrehten Zigarette schnappen ging, sein Leben lassen.












gemütliches Hotelzimmer...;)
Afik, einer der drei Männer, die wir am Vorabend bei einem unserer ersten Feierabendbiere auf dieser Reise kennen gelernt hatten, fuhr mit seinem Auto vor und trug ein dunkles, noch lebendes und gefesseltes Schaf aus dem Kofferraum hinter das Haus, in dem ein kleines Motel und ein Restaurant untergebracht sind. Arik, der Besitzer, des Гостиница (Hotel) und sein Küchengehilfe – oder was immer er sonst noch für Funktionen hat – kamen sogleich, brachten ein scharfes Messer mit und begutachteten das dem Tod geweihte Tier. Mir beschieden sie, ich solle den Fotoapparat holen – aber solche Dinge fotografiere ich nicht gerne...schon gar nicht unmittelbar nach dem Aufstehen. Dem Tier wurde kurzerhand die Kehle durchgeschnitten, anschliessend häutete Afik das Tier und gemeinsam trugen sie es dann in die kleine Küche, wo es zerlegt und für den Verzehr bereit gemacht wurde.

Lorenz, der Langschläfer (er schläft pro Nacht mindestens drei Stunden mehr als ich), startete darauf den Generator, setzte Teewasser für meinen obligaten Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker auf und wir stärkten uns für den Tag, von dem wir noch nicht wussten, dass er sehr anstrengend werden würde, mit Joghurt, Brot mit Butter und Konfitüre (Danke Elisabeth, Der Quittengelée ist, nein, war grossartig!) und Bananen.

Afik der Schlächter, und Arik der Besitzer
Bis zur kasachischen Grenze waren es rund 360 km, die wir hofften, heute zurücklegen zu können, um morgen den Grenzübertritt zu vollziehen. Von Arik und seinen Freunden erhielten wir noch ein paar Tipps, machten ein paar Fotos und dann startete ich den Sechslitersechszylinder, setzte mich hinter's Steuer und wir fuhren in ein neues Abenteuer.








grossartige Wolkenformationen auf dem gemütlichen Streckenabschnitt 
Die ersten etwa 100 km Richtung Osten waren schnell und problemlos zurückgelegt. Dann kam ein Schild, das uns bedeutete, dass auf den nächsten 48'27 Metern (das stand effektiv so da!) Bodenunebenheiten erwarteten. Mir schwante Schlimmes – und es kam schlimm.









...leider erkennt man auf dem Foto die Unebenheiten nicht
Dass diese Rüttelpiste überhaupt «Strasse» genannt werden darf ist schon sehr fraglich, dass sie aber in der höchsten Klasse der russischen Strassenkategorien eingereiht ist, kann nur auf einem Fehler beruhen. Oder auf jahrzentelangem Unterlassen von Unterhaltsarbeiten trotz immer grösser werdendem Verkehrsaufkommen und immer schwereren Fahrzeugen.







Foto vom Seitenstreifen aus bei voller Fahrt (35 km/h)
Zum Einen waren Bodenunebenheiten in Form von grossen, flachen Wellen vorhanden, die unser Fahrzeug regelmässig eintauchen und dann hochschnellen liessen, was der Muni mit seiner ungedämpften Blattfederung mit einem unangenehmen Auf- und Ab-Schaukeln beantwortete.









Fahren wo es gerade geht.... 
Zum Zweiten war der Belag von vielen, bis zu einem Meter Durchmesser grossen, nur wenige Zentimeter tiefen Löchern übersäht, die in jahrelangen Reparaturdurchgängen immer wieder mit Asphalt notdürftig ausgefüllt, jedoch nicht eingestampft, sondern dem Verkehr überlassen wurden. So bildeten sich Tausende kleiner Flecken, die sich alle mehr oder weniger vom ursprünglichen Untergrund erhoben.
Und zum Dritten waren von der Last der vielen LKWs tiefe Spurrinnen und Verwerfungen entstanden, die das Ganze noch schlimmer machten.
Natürlich blieb es nicht bei den angekündigten rund 48 km...das war erst der Anfang! Zum Einfahren, quasi.

Porträt mit Schiedsrichter-Hochsitz
Irgendwann, nach den angekündigten 48 km Rüttelpiste, kamen wir zum Ort Ершов (Jerschow) wo wir uns eine Борщ (Suppe) – Kritiker sagen das sei heisses Wasser in einem roten Teller – mit Brot genehmigten und danach auf dem schon seit Urzeiten nicht mehr genutzten Volleyballfeld auf dem Schiedsrichtersitz ein paar Portraitaufnahmen machten, bevor ich es mit dem Fahren in der Hoffnung auf jetzt bessere Strassenverhältnisse (oder überhaupt eine Strasse, die diesen Namen verdient) versuchen wollte.

Aber es kam noch schlimmer.












Reparatur-Kolonne in voller Aktion
Der unbefestigte Seitenstreifen (auf Dänisch «rabatten blød») wurde nun zu eng und die Böschung zu steil, um dort den Schlaglöchern und Flickenhügeln auszuweichen ohne Gefahr zu laufen (oder zu fahren), in den Büschen unterhalb der Böschung zu landen und ich schlängelte mich in Weltcup-Slalom-Manier im gestreckten Schritttempo von einer Strassenseite zur anderen an den Hindernissen vorbei. Entmutigt und ermüdet übergab ich nach weiteren 40 km Lorenz das Steuer, dem es aber leider auch nicht besser gelang, eine rüttelarme Reisegeschwindigkeit herzustellen.




der Asphalt wir mit Holzfeuer erwärmt

Irgendwann kam mir die Idee, ein geringerer Reifendruck würde vielleicht das harte Schlagen und die entnervenden Rüttelimissionen dämpfen, was ein französischer Wohnmobilpilot, den wir unterwegs an einer Seitenstrasseneinmüdung mit seiner Frau auf dem Rückweg von Tadschikistan trafen, ebenfalls vermutete.
Xoff beim «Lüftelen»
Also entliessen wir den viel zu stark gefüllten Reifen 2 bar (sie waren auf 9 bar aufgepumpt!), was das Fahren einiges angenehmer machte. Natürlich konnten wir auch mit dieser Konfiguration nicht über die Rüttelpiste brettern, aber immerhin waren die Schläge nicht mehr so hart.

Endlich, nach über 200 km schlechtester Strassenverhältnisse, kamen wir zum Ort Озинки (Osinki), wo wir uns in einem sehr gut assortierten Supermarkt mit Wasser, einigen Grundnahrungsmitteln wie Brot, Butter, Gemüse, Bananen, Würstchen und natürlich Tee und Zucker (für meinen obligaten Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker) – Milchpulver hatten wir bereits in Волгоград (Wolgograd) eingekauft – aufmunitionierten. Die vermutlich lange Wartezeit am Grenzübergang und die ungewisse Versorgungslage im nächsten Land liessen uns grosszügig den Warenkorb füllen.

Ein freundlicher, sehr gut englisch sprechender Armeeangehöriger, der mit seiner Frau im gleichen Supermarkt eingekauft hatte, sprach uns an und wir konnten ihm einen Tipp für die Übernachtung entlocken: er wies uns zum Трафический Контроль (Verkehrskontrollposten) beim alten Grenzposten, wo wir jetzt stehen.

Ich kochte Spaghetti mit meiner mittlerweile bis hart an die Grenze zu Asien bekannten Tomatensosse und wir schlugen uns verdient die Bäuche voll. Diesen Beitrag schreibe ich – wie jeden Abend – natürlich zu drei Tassen des obligaten Schwarztees mit Milch(pulver) und viel Zucker, während sich draussen, im Norden, ein Blitzgewitter der Sonderklasse aus den tagsüber aufgebauten Quellwolken entlädt.

Gute Nacht!



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