Kyslorda soll einen «dazzling market by the riverside» haben, sagt der Führer der kasachischen Botschaft...also nichts wie hin!
Ich wusste, dass es wahrscheinlich nicht einfach werden würde, diesen zu finden und erst recht nicht, hin zu kommen, sind doch alle Städte mit einem Lastwagenfahrverbot belegt und das wird auch konsequent durchgesetzt. Das Zeichen, das bei uns in der Schweiz nur für schwere Motorwagen zum Sachentransport gilt, wo wir also mit unserem als Wohnmobil deklarierten Lastwagen locker durchfahren können so lange keine Gewichtsbeschränkung angegeben ist, gilt hier leider für alle Lastwagen. Hier ist Lastwagen gleich Lastwagen, auch wenn er von zwei Schweizer Touristen gefahren wird.
Aber die Lastwagenfahrverbote waren gar nicht das Problem, sondern die Sache war, dass niemand diesen Markt zu kennen schien. Weder der Taxifahrer, noch ein Passant und auch nicht die sehr gut Englisch sprechende Angestellte in der Toyota-Vertretung. Diese schickte uns zum «Big Market», der sich als Shopping-Mall herausstellte. Wir gingen trotzdem hinein in der Hoffnung etwas zu finden von dem, was wir gerne eingekauft hätten. Vor allem einen neuen Teppich für unseren Wohnzimmer-Schlafzimmer-Badezimmer-Küchen-Boden wäre toll gewesen, war der alte doch infolge akuten Zerfalls und unrettbarer Schmutzigkeit heute Morgen in der Tonne gelandet.
Und ein bisschen Material um die misslungene Schranktür-Schliess-Aktion zu retten. Aber das fanden wir nicht. Aber wir hätten alles finden können, was man in jeder Shopping-Mall an jedem Ort der Welt finden kann. Den ganz normalen Kommerz-Schrott von allen erdenklichen Elektrogeräten über Turnschuhe (nein, sorry, Sneakers), Sporbekleidung, Schuhe, Handtaschen bis zu Kleidern, Kleidern, Kleidern und nochmals Kleidern. Und Essen. Alles abgepackt. Zubereitet. Vorgefertigt. In rauen Mengen.
Das sind Einkaufswagen! |
Für die Mamis gab es spezielle Einkaufswagen, damit das Shoppen auch für die Kleinen zum Erlebnis wird: Vorne ein SUV für den Nachwuchs und hinten ein grosser Korb, damit ja alles Platz findet.
Kinder-Paradies «Funkt Town» |
Der Hammer war das Kinderparadies (es heisst «Funkt Town») – oder das was sich umsatzorientierte Ladenarchitekten darunter vorstellen: dort konnte man die Kleinen in einer Spielhölle für Kinder parken während Mami und Papi sich weiteren Einkäufen widmeten. Spielautomaten, Karusselle und alle möglichen Plastikfiguren aus allen erdenklichen Comicschmieden sollten das Kinderherz höher schlagen lassen und das Konsumverhalten schon frühkindlich nachhaltig schulen – von Kreativität keine Spur...aber die braucht der gewiefte Shopper schliesslich nicht wenn er alles kaufen kann was andere für ihn kreiert haben.
Auch die Schnellimbiss-Foodhalle war ganz auf die kleinste Kundschaft ausgerichtet. Dort konnte jede nur mögliche Kombination aus Junk-Food zusammengestellt werden, so dass selbst Kleinkinder ohne Zähne problemlos den Weichfrass mit der Zunge in verdauungsgerechte Stücke zerdrücken können.
Man verzeihe mir bitte meine Bösartigkeit – in solchen Konsumtempeln bekomme ich die Krätze...wie gerne wäre ich durch einen schmutzigen, wilden, unübersichtlichen, stinkenden, blinkenden, verführerischen, verwinkelten, nach Gewürzen riechenden, lauten, feilschenden düsteren, farbigen Markt geschlendert!
Lorenz liess sich im Beauty-Shop rasieren und sieht nun richtig schnieke aus. Er strahlte jedenfalls bis über beide Ohren als er herauskam.
Wir verliessen also Kyslorda ohne Marktbesuch und ohne Teppich Richtung Süden, Richtung Turkestan, das rund 350 km entfernt liegt.
Die Landschaft südlich von Kyslorda ist nicht mehr durch Reisfelder geprägt, sondern es herrscht eine Busch-Steppe vor, in der die Büsche teilweise blühen und dadurch in verschiedenen Farben auffallen. Die leuchten nicht. Aber es sieht sehr schön aus. Ich stellte mit vor, wie es wohl gewesen sein muss, vor Hunderten von Jahren, als die Karawanen auf den Routen der Seidenstrasse hier vorbeigekommen sind und sich durch dieses Buschland geschlagen haben, das wenig Übersicht bot und wahrscheinlich Räubern und Wegelagerern gute Möglichkeiten bot, einen Hinterhalt zu organisieren.
Die Strecke awar heute wieder flach und sehr, sehr gerade. Die wenigen Erhebungen, über die sich die Strasse zog, liessen mich immer wieder hoffen, auf der anderen Seite etwas Spannendes zu entdecken….aber es bot sich über viele Kilometer immer das gleiche Bild. Dieses Land ist so unermesslich gross und weit! Wir sind seit bald 2000 km mehrheitlich geradeaus gefahren (da kommt schon imer wieder eine leichte Biegung, die aber wieder in eine Durtzende Kilometer lange Gerade mündet) und die Landschaft hat sich nicht massgeblich verändert. Die Vegetation ändert sich, aber nicht die Topografie. Das konnte ich mir bisher nicht vorstellen. Wohl kannte ich Erzählungen von Freunden, die in den USA Hunderte Kilometer geradeaus gefahren sind. Aber das hier schlägt alles. Schlicht unvorstellbar.
Etwa 150 km nach Kyslorda kam das erste Restaurant, das wir glücklich und hungrig anfuhren. Draussen stand Nikolaj. Er ist Radfahrer. Er fährt mit dem Fahrrad von Samara in Russland etwa die gleiche Strecke wie wir in die Mongolei. Und dann noch weiter nach China. Mit dem Fahrrad!
Wir luden ihn zum Tee ein - er hatte eben gegessen - und da erzählte er, dass er schon von Moskau nach Peking gefahren sei. Und in Russland sei er im Ganzen schon 5000 km Fahrrad gefahren...das finde er mittlerweile langweilig weil es dort nur Wälder habe. Hier sehe man weit und das gefällt ihm wie uns.
Nikolaj, Muni und Xoff |
Er ist 36 Jahre alt und programmiert beruflich CNC-Maschinen, die grosse Werbebuchstaben ausschneiden. Als er seine Mütze auszog kam seine ursprünglich blasse Hautfarbe am kahlrasierten Kopf zum Vorschein – an allen vor der Sonne nicht geschützten Stellen ist er dunkelbraun.
Bräunungsvergleich |
Das Vergleichsfoto mit Lorenz' Nacken ist leider nicht sehr aussagekräftig und zeigt die real wahrgenommenen Unterschiede nur annähernd.
An guten Tage fährt er bis zu 120 km...heute hatten wir recht kräftigen Seitenwind, da wird er wohl nicht ganz so weit gekommen sein.
Nach diesem interessanten Mittagessen änderte sich auf unserer Strecke die Vegetation wieder einmal. Keine Büsche mehr, dafür ein ziemlich einheitlicher Bewuchs der riesigen Ebene mit kleinen hellgrünen Stauden, die optisch in flachem Winkel betrachtet ein wenig an eine Moosdecke erinnerten, finde ich. Auch das wieder über viele, viele Kilometer.
Stadtmauern aus der Ferne |
Und dann war da auf einmal eine Struktur am Horizont, die zuerst wie ein Hügel und beim Näherkommen wie eine Abraumhalde und dann wie zerfallene Mauern aussah. Es waren Mauern. Mehr als Achthundert Jahre alte Mauern aus ungebrannten Ziegeln, die von Wetter und Wind zerfressen und zu einem grossen Teil abgetragen worden waren.
Sauran, die ehemalige Hauptstadt der Weissen Horde, war im 13. Jahrhundert erbaut worden und verfügte über unterirdische Wasserkanäle und mehrere Verteidigungsmauern, so dass sie nur durch lange Belagerung und Aushungern der Bewohner eingenommen werden konnte.
Sauran - Hauptstadt der Weissen Horde |
Sie war ein wichtiger Handels- und Zufluchtsort mehrer Routen der Seidenstrasse, die sich hier kreuzten und wurde über lange Zeit genutzt.
2500 m Stadtmauer mit Lorenz |
Die Mauer hat eine Länge von rund zweieinhalb Kilometern und die Stadt hatte eine Ausdehnung von fast 800 Metern. Sie ist mit trockenem, gelbem Gras bewachsen, was der Szenerie eine besondere Stimmung verleiht.
Blick vom Eingangstor in die Hauptstrasse |
Heute ist sie teilweise ausgegraben und restauriert – aber es sieht nicht so aus, als ob diese historisch wichtige Stätte besonderen Schutz geniesse. Von der Strasse aus ist sie nicht ausgeschildert und es gibt kein Personal, das sich um die Stätte kümmert. Wir waren ganz alleine dort und konnten ungehindert umhergehen und die besondere, mystische Stimmung in der Spätnachmittagssonne geniessen.
Mausoleum des Khoya Ahmed Yasawi aus nordöstlicher Richtung |
Von dort aus waren es noch knapp 50 km bis nach Türkistan, auf das ich mich besonders freute, denn hier steht das Mausoleum von Khoja Ahmed Yasawi, das von vielen Moslems als das zweitwichtigste Pilgerziel (nach Mekka) betrachtet wird.
Vollendete Westseite |
Das Mausoleum wurde zwischen 1389 und 1405 im Auftrag von Timur (auch bekannt unter dem Namen Tamerlane) erbaut und wegen dessen Tod leider nicht fertiggestellt. Es ist eines der Hauptwerke der Timur-Ära und besticht mit seiner 40 m hohen Kuppel aus ungebrannten Ziegeln, den ornamentalen Kacheln und durch seine schlichte Grösse.
Ornamente in Vollendung |
Der Prophet Khoja Ahmed Yasawi ist Gründer des Sufismus (wenn ich die englischen Erklärungen richtig verstanden habe) und wird von vielen als der rechtmässige Erbe Mohameds betrachtet...daher kommt der hohe Stellenwert dieses Mausoleums.
Ich hatte das Glück, den Bau in der Abendsonne mit Beleuchtung aus Westen zu sehen, was besonders schön die vollendete Rückseite mit ihren schönen Kachel-Ornamenten zeigt.
Hintereingang |
Das grosse Bauwerk ist sehr imposant und hat mir ungemein gut gefallen. Leider konnte ich es Innen nicht besichtigen – warum weiss ich nicht...wahrscheinlich war gerade eine religiöse Zeremonie kurz vor Sonnenuntergang im Gang. Aber auch das Äussere gab mir einen wunderbaren und bleibenden Eindruck von diesem schönen und beeindruckenden Bauwerk. Es ist seit 2003 UNESCO Weltkulturerbe.
Divertimento im Stadtpark |
Da wir gleich neben dem Mausoleum-Park geparkt hatten, wo auch ein Stadtpark liegt, auf dem bei unserem Besuch gerade die Abendunterhaltung für die Kinder mit diversen Spielen, den hier überall beliebten ferngesteuerten SUVs für angehende AutofahrerInnen und anderen Attraktionen stattfand, war ich erstaunt darüber, dass an einem religiös so wichtigen Ort nicht mehr Menschen anwesend waren und auch überhaupt keine Souvenir-Stände vorhanden waren.
Skulptur beim Mausoleum mit Xoff (erkennbar an der grossen Nase) |
Wir assen in einem modernen Selbstbedienungsrestaurant gleich beim Parkplatz und als wir zum Muni gingen war es bereits dunkel und wir fuhren mit Hilfe des Navigationsgeräts in der Hoffnung aus der Stadt hinaus, bald auf eine Möglichkeit zum Schlafen zu stossen. Nach etwa 20 km leuchteten die Lichter eines Restaurants mit grossem Parkplatz, was die Nachtfahrt zum Glück beendete, denn es ist nicht sehr angenehm, mit dem Lastwagen bei Dunkelheit zu fahren wenn man wegen des Gegenverkehrs die Scheinwerfer nicht einschalten kann und das Abblendlicht nur einen kleinen Teil der Strasse beleuchtet.
Ich ging ins Restaurant um die hier übliche Übernachtungspauschale von 500 Tenge (CHF 1.25) zu bezahlen und der Wirt umarmte mich erfreut als er unser Berner Nummernschild sah. Scheinbar hatte er eine Affinität zu unserer Bundeshauptstadt...aber ich konnte nicht herausfinden inwiefern.
Ich sitze zum Schreiben dieses Beitrags in der Kabine während Lorenz bereits im Shelter schläft...und ich habe ein Problem: wie komme ich an den Hunden vorbei in unser Schlafzimmer?
Nicht dass sie böse wären, die Hunde. Sie wollen ja nur spielen. Und sind gaaanz lieb.
Aber ich habe trotzdem jedes Mal Schiss...hätte mir doch in einem der russischen Waffenläden eine PumpGun besorgen sollen...einfach so zur Sicherheit...lol
Da das GSM-Netz hier nicht funktioniert (die Kasachen stellen ihr Netz glaub einfach um Mitternacht aus) könnten das meine letzten geschriebenen Worte sein, die vielleicht erst posthum veröffentlicht werden...sollten sie morgen im Blog stehen, so weisst Du, dass ich's überlebt habe...hihi (das ist kein lockeres hihi, sondern ein Galgenhumor-hihi...imfall!)
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