Voraussichtliche Reisedaten

Dienstag, 21. Mai 2019

20. Mai 2019 | Карабутaк (Qarabutaq) - Арал (Aral) (KZ) | 393 km

Heute war Fauna-Tag!

...aber eins nach dem Anderen.

Als wir in Карабутк (Qarabutaq) losfuhren war es bereits Mittag – des Langschläfers Tage sind kurz. Und die Reifen waren auf einen Druck von 5 bar reduziert, was sich ausgesprochen beruhigend auf das Fahrverhalten auf Rüttelpistenstrassen auswirkt...wobei gleich vorweg zu bemerken ist, dass die Strasse heute (die M32) über fast 300 km exzellente Qualität hatte. Einige Unebenheiten waren zu verzeichnen, die meine Vermutung wegen des Fahrverhaltens bestätigen konnten.


Ameisenlöwenhügel
Wir fuhren als Letzte vom grossen Lastwagenparkplatz. Das nennt sich hier Кемпигн («Kemping», Camping), wobei aber nirgends ein Ort wäre um ein Zelt aufzuschlagen….unter Camping verstehen die Kasachen das Schlafen im Auto. Die anderen Chauffeure nutzten alle die Morgenstunden um vorwärts zu kommen...sie haben ja auch einen Terminplan zu erfüllen, während wir auf Reisen sind. Der Кемпигн war übrigens in der Nacht von einem maschinenpistolentragenden Security-Mann bewacht, was mich Böses ahnen liess...aber ausser dem Brummen der Diesel-Kühlaggregate von rund 50 Lastwagen störte nichts die Nachtruhe. Nicht einmal die Hunde bellten!

Ach, eine Besonderheit dieses Parkplatzes sei noch erwähnt: es hatte hier viele Möven, obwohl weit und breit kein Gewässer vorhanden wäre, wo sich diese Vögel hätten aufhalten und Nahrung finden können. Sie zankten sich zusammen mit den Raben um jeden Bissen, der verfügbar war – oder mussten ihn den immer wieder herbeirennenden Hunden überlassen.

Schon wenige Kilometer nach dem Start sah ich das erste der heute vielen Tiere: einen Präriehund. Oder war es ein Erdmännchen? Ich weiss es nicht...kenne diese Tiere nur aus dem Zolli und ihre Namen interessieren mich meist nicht so sehr.
Der kleine putzige Kerl rannte dem Strassenrand entlang und verschwand im Grasstreifen. Wenig später sah ich den nächsten, dann noch einen und dann waren über Kilometer immer wieder einzelne oder Gruppen von Präriehunden auszumachen. Wie sie dastehen, auf den Hinterbeinen, die Vorderbeine angewinkelt vor der Brust, Ausschau haltend nach Gefahren – wobei die grösste Gefahr von den vorbeirauschenden Fahrzeugen ausgeht, die sie gar nicht beachteten – ist schon herzig. Und wenn sie dann davon rennen...ein Bild für Götter! Ich habe die kleinen, murmeltieränlichen, hellbraunen Kerle ins Herz geschlossen und hielt die ganze Fahrt nach ihnen Ausschau. Leider waren da auch ein paar flache, plattgefahrene Exemplare bei...mir wurde jedes Mal schwer im Herz beim Anblick.
Leider liessen sich die kleinen Säuger nicht fotografieren – zu schnell waren sie verschwunden. Ich hätte mich auf die Lauer legen müssen, das grosse 600 mm-Tele im Anschlag...aber das war heute nicht unser Plan. Ich bin überzeugt, dass ich noch ein paar vor die Linse kriegen werde.

Trampeltier
Das nächste Tier war ein Trampeltier, ein zweihöckriges Kamel, das von weitem zu sehen war und gleich neben der Strasse auf dem Grünstreifen äste. Hinten bei den Bäumen waren noch mehr auszumachen….eine ganze Gruppe stand da, inklusive Jungen. Ich stoppte unseren Muni, stieg aus und konnte bis auf wenige Meter an das grosse erwachsene Tier heran. Zu nahe wagte ich mich nicht, da ich nicht einschätzen konnte, wie es auf mich reagieren würde...und ein Wettrennen gegen ein ausgewachsenes Kamel würde ich bestimmt verlieren – hätte ich auch zu meinen besten Läuferzeiten nicht gewonnen. Aber ich kriegte es vor die Linse und konnte trotz der Gegenlichsituation ein paar gelungene Fotos schiessen.
Die Kamele verlieren im Moment scheinbar ihren Winterpelz, das Fell löst sich in Fetzen ab, was eigentlich nicht besonders schön aussieht, sie aber noch spannender und spezieller macht als sie es eh schon sind.

Waschmaschineninstallation
Dann kam lange kein Tier mehr – aber wir haben dafür tierisch gut gewerkt und gewaschen. Seit Tagen wollten wir wieder einen Waschtag einschalten, aber bisher haben uns das Wetter oder die zur Verfügung stehenden Waschplätze nicht gepasst. Wir wollten unsere Wäsche von der Sonne trocknen lassen und wir wollten Bäume um die Wäsche darin aufhängen zu können. All das fanden wir heute inklusive eines sehr hilfreichen Windes.
Den Generator gestartet, die Waschmaschine ausgepackt und an den Strom angeschlossen, die «Double-Action-Laundry» mit Wasser aus dem mit dem neu erstandenen Wasserschlauch verlängerten Dusch-Schlauch befüllt (das warme Wasser kam zu Beginn aus dem aufgeheizten Solarboiler, später aus dem Wasserkocher) und die leicht (hihi) schmutzige Wäsche in die Waschtrommel gegeben….und ab ging die Post. Etwa 20 Minuten dauert ein Waschgang – wenn man spülen würde ging's noch etwas länger….aber spülen ist für Anfänger, haben wir uns gedacht. Schon bald hingen die ersten T-Shirts, Unterhosen, Socken und Jeans in den Bäumen und ich konnte mich anderem widmen.

Fahr-East-Waschtag
improvisierte Wäschehänge

Scheinwerfergitter
Das Andere waren zwei Installationen: aus dem in Aqtöbe erstandenen verzinkten Gitter schnitt ich zwei Schutzgitter für unsere Scheinwerfer zu, bohrte ein paar Löcher in die massive Stossstange und befestigte die Schutzeinrichtung mit Kabelbindern. Solche Schutzgitter sind notwendig, weil auf steinigen Pisten ein kleiner Stein eine verheerende Wirkung haben und ein Scheinwerferglas zerstören kann. Das wäre bei unserem Fahrzeug besonders misslich, da Gläser für 30 Jahre alte Scheinwerfer eines ehemaligen Deutschen Armeefahrzeugs in Kasachstan nur schwer zu kriegen sind – und Scheinwerfer sind hier unter Umständen lebenswichtige Ausrüstungsgegenstände eines Fahrzeugs.

Türschliesser - leider nicht funktional
Nach erfolgreicher Montage der beiden Gitter montierte ich die ebenfalls in Aqtöbe gekauften Schliesser an die Schranktüren und war mächtig stolz, diese so sauber und rasch montiert zu haben. Leider war aber diese Arbeit für die Katz. Die Schliesser sind zwar schön (sie sind weiss mit weissen Schrauben!) und sie schliessen – aber sie halten die Türchen nicht zu. Zieht man an einer Schranktür, so gleiten die Riegel aus den am anderen Türchen angebrachten Lagern und der Inhalt des Schranks kann sich bei rauem Fahrstil oder sehr rütteliger Strasse ganz einfach der Schwerkraft folgend im freien Fall auf dem Boden verteilen. Wie das aussieht haben wir ja bereits erlebt – und das wollen wir nicht mehr!
So müssen die Schranktürchen weiterhin mit Gaffer-Tape gesichert werden….aber wir lassen uns schon noch etwas einfallen...eine Idee haben wir bereits.
Diese ganze Aktion ist übrigens notwendig geworden, weil die alten, ursprünglich angebrachten Original Camper-Schranktüren-Verschlüsse altersschwach und generell zu schwach waren und ersetzt werden mussten. Am liebsten hätten wir Spann-Verschlüsse gehabt, die es aber hier bisher nirgends zu kaufen gab. Die jetzt montierten Verschlüsse waren von Anfang an eine Notlösung, die jetzt mit einer weiteren Notlösung verbessert werden muss.

Drachenfliegen bei mässigem Wind
In der Zwischenzeit hatte Lorenz seine Wäsche auch gewaschen und holte seinen Kissen-Drachen hervor und es gelang ihm mit etwas Geduld und einer Schere, das Gewirr von Schnürchen zu entwirren und mit etwas Hilfe von mir hing der Ripstop-Nylon-Fetzen auch schon bald etwas unsicher am Himmel. Das lag am unsteten und zu schwachen Wind, nicht am Drachen und schon gar nicht an Lorenz' Drachenpilotenkünsten.

Ich schaute derweil der Wäsche beim Trocknen zu und feuerte die Sonne und den Wind an, ihr den Prozess ein wenig zu erleichtern. Offensichtlich zeitigte mein Einsatz eine Wirkung: wir konnten schon um halb Fünf weiter fahren.

Neben der Strasse lagen Salzpfannen (nicht die zum Kochen, sondern ausgetrocknete, versalzte Tümpel), das Steppengras wogte seine silbrig im Gegenlicht glänzenden Rispen im Wind und die Steppe breitete sich breit aus. Sehr breit. Hunderte von Kilometern breit.
Das mag eintönig und langweilig erscheinen – ist es aber ganz und gar nicht! Nach mittlerweile mehreren Tagen Flachland mit Erhöhungen von maximal 20 Metern, über Dutzende und Aberdutzende Kilometer schnurgeraden Strassen wo die geringste Kurve gross angekündigt und mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung versehen wird, Hektaren über Hektaren Grasbüschel, Blumen, kleinen Hügeln, Steinen, Sand, Erde und einem grossartigen Licht, das aus einem wolkenlosen, kondensstreifenfreien Himmel über die Landschaft fegt, beginnt mir diese Szenerie immer mehr zu gefallen.
Es gibt hier so vieles zu entdecken, man muss nur gut hinschauen.

Warum hat es stellenweise Tausende von tellergrossen verdorrten Blättern, obwohl weit und breit kein Baum steht, der diese Blätter letzten Herbst hätte hergeben können?
Warum ist der Sand (oder ist es Erde) auf einmal grün?
Was ist das für eine Erhebung am Horizont, den man erst in einer halben Stunde auf der wie mit einem Lineal gezogenen Strasse erreicht?
Warum sind allerorts kleine Grabstellen von Muslimen, erkennbar an den Mondsicheln, die über den teilweise seltsam anmutenden Konstruktionen aus Blech oder Backsteinen prangen, zu sehen….warum sind diese Menschen nicht auf einem Friedhof begraben, von denen es hier in jeder Ortschaft einen hat?
Wem gehören die Trampeltiere, die vielen Kühe, die Schafherden, die Pferdegruppen, die hier an vielen Stellen einfach frei herumlaufen oder -rennen?
Und die grösste Frage: warum wird dieses riesige, flache, gut zugängliche Land nicht mehr bewirtschaftet?

Und: was ist das für ein Greifvogel, der da auf einem Hügel sitzt?
Einen habe ich ganz genau erkannt. Er sass weniger als zwanzig Meter von der Strasse entfernt am Boden, hatte wahrscheinlich gerade einen Präriehund erlegt und war schon von weitem zu sehen, gross wie ein Schaf: ein stolzer Adler! Er war riesig! Er blickte zu uns herüber und liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Majestätisch und kräftig, wie er dastand, den Kopf hoch aufgerichtet, die Flügel angelegt und ganz wach um sich schauend. Zu gern hätte ich ihn fotografiert, aber beim Anhalten, Kamera mit dem richtigen Objektiv ausrüsten und mich bereit machen hätte ich den Anblick dieses Tiers nicht geniessen können und er wäre bestimmt genau dann davon geflogen, wenn ich bereit gewesen wäre.

neuer Tachostand
Mittlerweile stand die Sonne tief und hüllte dieses mystische Land in ein besonderes, warmes Licht, liess die Unebenheiten mit langen Schatten plastisch werden und schien uns von schräg hinten den Weg Richtung Aral, der Stadt am ehemals grössten See, die heute weit weg vom kärglichen Rest dieses grossen Wassers liegt, zu weisen. Sie ging unter, die Sonne, und liess den Tag in die Dämmerung übergehen, liess es Nacht werden...und wir hatten noch immer keinen Platz zum Schlafen gefunden. Hier bietet kein Wald, keine Buschgruppe Schutz vor Blicken und Begehrlichkeiten und wir wollten nicht unser Glück herausfordern und wie in Wolgograd einem betrunkenen Idioten Gelegenheit bieten sich an unserem Fahrzeug oder uns zu schaffen zu machen.

So fuhr ich weiter und weiter bis kurz vor die Tore der Stadt, wo ein von weitem angekündeter und sichtbarer Lastwagen-Кемпигн näher kam, der eher wie eine Disko an der spanischen Mittelmeerküste aussah denn ein Parkplatz mit Restaurant, Баня («Banja», Bad/Dusche) und Tankstelle. In allen Farben leuchteten die lockenden Lichter.
So ein Standplatz für eine Nacht kostet 500 Tenge, umgerechnet CHF 1.25….das ist uns die Sicherheit allemal wert, auch wenn das Plätzchen natürlich längst nicht so lauschig und romantisch wie in einem Wäldchen mit Ausblick auf die vom Steppengras im Mondlicht glänzende Ebene ist.
Mit den letzten Tenge gönnten wir uns ein einfaches, feines Abendessen (zwei Suppen, Brot, zwei Tee für 2000 Tenge – umgerechnet 5 Franken) und sind nun zwischen einem litauisch-russischen Anhängerzug und drei kasachischen Autotransportern mit zusammen bestimmt 8 Millionen Kilometern auf dem Tacho unter einem vom abnehmenden Vollmond beschienen Schäfchenwolkenhimmel kuschelig eingeparkt.


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