Der Betrieb an der Verkehrskontrollstation bei Osinki war vor allem in der Nacht rege, was darauf zurückzuführen ist, dass die Fernfahrer lieber am frühen Morgen und abends bis spät in die Nacht fahren, weil es mitten am Tag in der kasachischen Steppe sehr heiß werden kann. Ausserdem hatten wir wieder einmal das Vergnügen, neben einem Kühllaster zu stehen, dessen Dieselaggregat in regelmässigen Abständen zu laufen begann um den Inhalt seines Aufliegers zu kühlen.
Mir macht Lärm in der Nacht zum Glück wenig aus und Lorenz hört wegen seiner Oropax eh überhaupt nichts. Also war es für uns eine ruhige Nacht – trotz des Betriebs draussen.
Am Morgen, als wir aufwachten, war draussen bereits anständig Betrieb. Da wurde lauthals Tee aus dem Kofferraum angeboten und diskutierten, telefonierten und lachten Männer aus vielen verschiedenen Ländern um die Wette und brummte ein Fahrzeug nach dem anderen zum Kontrollposten.
Nach dem Frühstück – ja, auch heute wieder mit dem obligaten Schwarztee mit Milch(pulver) und viel Zucker – stellten wir unseren Muni in die Reihe und versuchten, die notwendige Fahrerlaubnis zur Grenze zu erhalten. Es ist gar nicht so einfach, ohne die Sprache der Leute zu verstehen und logischerweise auch nicht fragen zu können, was man machen und wo man hingehen muss, solche Aufgaben in nützlicher Frist zu erledigen. Wir fanden aber irgendwann heraus, dass man mit dem Pass zu einem Bürocontainer gehen, dort an ein Fenster klopfen und der Dame hinter dem kleinen Guckfensterchen den Pass aushändigen muss. Dann muss man warten. Wie lange es dauert, ist nicht klar. Es ist auch nicht klar, wer zuerst an die Reihe kommt. Von «hinten anstehen» haben die Leute hier überhaupt keine Ahnung. Sie drängeln sich vor, schubsen einen zur Seite und scheuen auch nicht davor zurück, die Beamten aufsässig zu drängen, ihren Pass doch etwas schneller abzufertigen.
Irgendwann kommt ein Beamter aus dem Container und verteilt Pässe. Wenn man Glück hat, ist der eigene im Stapel, den er in der Hand hält – sonst wartet man einfach noch ein wenig.
Lorenz hatte in der Zwischenzeit Bekanntschaft mit dem Fahrer eines riesigen geländegängigen russischen Камаэ-Lastwagens gemacht und konnte die Kommandozentrale, die kleine Küche, die Dusche und die Toilette – sie hatten genau den gleichen «Porta Potti» wie wir ihn in unserem Shelter haben! - besichtigen. Der Fahrer wollte natürlich auch unser Fahrzeug sehen und war beeindruckt von der farbigen Innenausstattung, die natürlich in unserer zivilen Version ganz anders aussieht. Ausserdem haben wir keinen Fernseher.
Wir fragten ihn, wie sie es mit dem Reifendruck hielten.
Er meinte, sie würden in schwierigem Gelände den Reifendruck bis auf 3 bar reduzieren! DREI bar! Gut, ihre Reifen waren auch um einiges voluminöser als unsere...aber wir getrauten uns nicht, ihm zu sagen, dass wir die ganzen 7000 km mit 8 bar gefahren sind, denn er meinte, mehr als 5 bar sei brutal und würde sich in sehr hartem Fahrverhalten äussern. Wir waren sehr froh um diese Auskunft und können nun das nächste Mal auf so katastrophalem Untergrund wie gestern getrost auf 5 oder sogar 4 bar reduzieren.
Als unsere Pässe kontrolliert waren, erhielten wir sie von der netten Dame mit einem breiten Grinsen zurück – wahrscheinlich war sie extra aus dem Kabäuschen gekommen um die seltenen Gäste aus Швейцария (Schwyzaria) persönlich kennen zu lernen.
Die paar Kilometer bis zur eigentlichen Grenze waren noch einmal eine fahrerische Herausforderung. Entgegen unserer Befürchtung standen die Lastwagen nicht mehrere km vor dem Grenzposten an, sondern wir konnten direkt vorfahren und wurden sehr rasch abgefertigt. Bei der Kontrolle des Innenraums – man muss jeweils zeigen, was man mitführt, was bei uns immer heisst, dass wir den Shelter öffnen müssen und die Beamten einen Blick hinein werfen wollen. Meistens klettern sie voller «Gwunder» hinein und fragen die und jenes, wollen möglichst viele Schränke von Innen sehen und nehmen ungeniert vieles in die Hand, probieren etwas aus, fragen wofür das oder jenes gebraucht wird oder wieviel es gekostet hat. Auch hier war es nicht anders. Dem russischen Zöllner gefiel besonders der kleine Feldstecher, den wir in den Drahtkörben über der Küchenkombination mitführen.
Kasachische Grenze im Rückblick |
Jetzt ging's auf die andere Seite zu den Kasachen. Die Strasse im Niemandsland, etwa 2 km lang, war der reine Horror und es war unmöglich, die tiefen Löcher und Verwerfungen in der Strasse zu umfahren, so viele hatte es und so gut (oder schlecht) waren sie verteilt. Schweissgebadet vom Slalomfahren, Bremsen, Anfahren und Ausweichen kamen wir beim kasachischen Grenzposten an. Auch hier keine Warteschlange, keine Lastwagenkolonne. Auch hier wurden wir sehr rasch abgefertigt, kontrolliert, fotografiert und erhielten den Stempel in den Pass und auf das Immigrationsformular, das man immer ausfüllen muss. Alle, auch andere Grenzgänger, interessierten sich für unser Fahrzeug und fragten, woher wir kämen. Das Schweizerkreuz wird hier nicht erkannt – in Russland fahren sogar die Ambulanzen mit unserer Nationalflagge umher! Scheinbar ist es für die meisten Leute zu schwierig, ein weisses Kreuz auf rotem Grund von einem roten Kreuz auf weissem Grund zu unterscheiden.
Gleich nach dem Schlagbaum am Grenzposten standen sie wieder: die Hyänen der Versicherungsbroker, die einem die notwendige Haftpflichtversicherung verkaufen wollen. Sie sind sehr aufdringlich, meinen, nur sie könnten einem die richtige Versicherung verkaufen und dass die Kasachen eh kein Englisch verstünden und sie der einzige seien, der dessen mächtig sei. Wir fuhren aber weiter, nachdem Lorenz, der sich hatte beknien lassen, mit zum «Büro» - einem abgehalfterten Kleinwagen mit Computer und Drucker, der wegen eines Stromproblems gar nicht funktionierte – zu gehen nur um dann ohne Versicherung zurück zu kommen.
Wir fuhren los und wollten es in Oral versuchen.
perfekte Strassenverhältnisse und unendliche Weiten |
Und jetzt kam die positive, sehr positive Überraschung: die Strasse, die vor uns lag und bis Oral rund 100 km lang ist, war in einem tadellosen Zustand. Mindestens so gut wie eine Schweizer Autobahn. Einfach perfekt! Es war die reinste Freude, so «smooth» und ruhig dahin zu tuckern!
Auf diese Weise erreichten wir Oral in Rekordzeit und machten uns auf die Suche nach einer Tankstelle, wo uns gleich die nächste positive Überraschung ereilte: der Liter Diesel kostet hier keine 50 Rappen! Wir tankten 500 Liter (450 in den Tank, 40 in die zwei Kanister und 10 in den Generatortank) für weniger als 250.-- CHF!
Auch eine Versicherung konnte Lorenz auf einem TIR-Parkplatz mit Reparaturwerkstätte und Restaurant lösen, obwohl auch da gewisse Strom- und Computerprobleme herrschten und der Versicherungsbroker noch nie so ein Fahrzeug wie wir es haben abgefertigt hat. Aber es funktionierte und wir waren Mitte Nachmittag mit allem ausgerüstet, was wir für den Aufenthalt in Kasachstan benötigten. An einer Wechselstunbe konnten wir zwar nur 100 $ in kasachische Tenge (KZT) wechseln – aus welchem Grund an dieser Stube nur so kleine Beträge gewechselt werden erschloss sich uns nicht – aber bei den hier sehr günstigen Lebensmittelkosten werden wir damit weit kommen.
Stadt«Tor» Орал |
Oral ist eine Stadt mit rund 300'000 Einwohnern, davon etwa 800 Deutsche als ethnische Minderheit. Sie wurde 1584 am Zusammenfluss der Flüsse Ural und Jaiksk von den Kosaken gegründet und erhielt 1613 das Stadtrecht. Bis 1775 hiess sie Jaitsk und wurde nach einem Aufstand der Kosaken unter Jemeljan Pugatschow gegen die Zarin Katharina die Grosse in Uralsk umbenannt. Seit der Unabhängigkeit Kasachstans nach dem Zusammenbruch der UdSSR heisst sie Oral.
Der Aufstand im Jahr 1773 entstand übrigens, weil der damalige Verwalter, General Traubenberg, den Kosaken verbot, ihre Bärte zu tragen und einige sogar öffentlich entbaarten liess. Pugatschow, der behauptete, eigentlich Zar Peter III zu sein und seinen Mördern entkommen zu sein, versammelte in den Sümpfen um die Stadt eine Armee aus 9000 Kosaken, Tataren und Leibeigenen, führte sie gegen die Zarin und nahm die Städte Ufa und Orenburg ein.
Ausserdem stammt die erste als «Heldin der Sowjetunion» ausgezeichnete Frau, Manschuk Schijengalijewna Mametowa, aus Oral. Und der Geher Georgi Sheiko. Und der tatarische Komponist Nasib Schiganow.
Und das Wichtigste: Oral ist die einzige kasachische Stadt, die geografisch in Europa, also westlich des Ural, liegt.
Der Ural, Grenzfluss zwischen Europa und Asien |
Das alles habe ich aus dem Internet, denn wir liessen die von der Hitze flimmernde Stadt (es war heute 32° heiß) nach den Erledigungen hinter uns und fuhren in östlicher Richtung davon und waren schon bald - nach dem Bosporus - zum zweiten Mal in Asien. Jetzt aber richtig!
Standplatz für die Nacht |
Der Platz, den wir am späteren Nachmittag zu unserem Nachtplatz erkoren, liegt unweit der Hauptstrasse Richtung Аqtöbe, das etwa 480 km entfernt ist, in einer Schneise im Wald, wo wir vor Blicken geschützt übernachten können.
Schnell waren die Campingstühle und der -tisch aufgestellt, die Eismaschine angeworfen und wir konnten bald schon ein eisgekühltes Schweizer Bier in der Abendsonne geniessen. Nach den Rüttelstrapazen der letzten Tage eine gelungene Belohnung und Erfrischung!
«Summerfögeli» auf meinem Tabaketui (Danke Susanne <3 ) |
Jetzt prasseln gerade erfrischende Regentropfen auf's Dach des Shelters, draussen blitzt es wieder wie bei einer Pressekonferenz und wir geniessen das Summen der vielen kleinen Mücken, die mit uns den Schutz des Shelters (darum eben auch der Name…;) ) geniessen.
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