Voraussichtliche Reisedaten

Montag, 13. Mai 2019

11. und 12. Mai 2019 | Соленое Займище (Solenoye Zaymishche) - Волгоград (Wolgograd) (RU) | 194 km

Thron mit Aussicht
11. Mai 2019 Соленое Займище (Solenoye Zaymishche) - Волгоград (Wolgograd)

Angefangen hat der Samstag sehr freundlich mit Sonnenschein und einer grandiosen Aussicht auf die Wolga, unserem einfachen Frühstück mit Brot, eingemachten Pflaumen von Zurab Frau, meinem Schwarztee mit Milch und viel Zucker – und einer gemütlichen Sitzung auf unserem Thron mit der besagten Aussicht auf die Wolga.

















plastikblumengeschmückter Friedhof
Die Strecke nach Wolgograd von etwa 180 km konnten wir auf der sehr guten Verbindungsstrasse zwischen Astrachan und Wolgograd zügig zurücklegen.
Unterwegs hielt ich den Muni bei einem der Friedhöfe an, denn ich wollte unbedingt die reich mit Blumen geschmückten Gräber fotografieren und war erstaunt, dass die Blumen zum grössten Teil aus Plastik waren.




















Tram auf der Einfallstrasse in Wolgograd
Wir fuhren auf einer breiten, sechsspurigen Einfallstrasse in die Stadt Wolgograd ein. Schon von weitem sahen wir die Mamajew Kurgan, die Gedenkfigur an die Schlacht von Stalingrad auf dem Mamjew-Hügel.











ein scheinbar perfekter Standplatz nahe dem Zentrum
Wieder fanden wir einen scheinbar perfekten Platz um unser Fahrzeug abzustellen und machten uns nach der ersehnten Dusche (durch die Sonne konnte der Boiler heute aufgewärmt werden) auf eine Erkundungstour durch die Stadt.











Strassenszene mit 9. Mai-Schmuck
Wolgograd hat keinen ausgesprochenen Charme, was wir bei dieser Stadt, die im Jahr 1943 total zerstört gewesen war und in typisch sowjetischer Manier mit breiten Strassen, grossen Gebäuden und wenig malerischen Ecken wieder aufgebaut werden musste, auch nicht erwartet hatten.









Brunnen beim Bahnhof
Am Bahnhof fand Lorenz eine Stadtkarte mit Erklärungen auf Deutsch, welche uns zu den wichtigsten Plätzen, einem grossen Bauernmarkt wo wir das Notwendigste einkaufen konnten und der schön gestalteten Uferpromenade führte. Dort, wo sich die Russen für's obligate Selfie und die Fotos für ihren Instagram-Account hin begeben, machte ich ein paar Langzeitaufnahmen und in einem nahen Restaurant, das «typische» Deutsche Küche anbot, assen wir etwas zu Abend.




Lenin und Xoff

Schleuse bei Wolgograd

Fototermin auf der Uferpromenade

lange Belichtung

Für den nächsten Tag war der Besuch des Kriegsmuseums geplant, das mit einem sehr grossen Panorama-Bild des Kriegswinters '42/'43 und dem Museum im berühmten Warenhaus, das in zerbombtem Zustand erhalten geblieben ist, aufwartet. Also legten wir uns relativ früh schlafen, wollten wir am Morgen doch bei den ersten der zig Tausend Besucher sein.

eingeschlagenes Fenster notdürftig repariert
Etwa um Mitternacht wurden wir von unverständlichem Russisch und grobem Rütteln am Muni jäh aus dem Schlaf gerissen. Ein Betrunkener machte sich an der Eingangstür zum Shelter zu schaffen und grölte herum. Wir hielten die Tür, die sich von Innen nicht verschliessen lässt und nur mit einem Riegel gesichert ist, zu und zogen uns so rasch es ging an. Bis wir so weit waren und uns unserer Reaktion sicher waren hatte der Krawallbruder bereits einen der gesicherten Kanister am Heck abmontiert und das Fenster der Beifahrertür eingeschlagen. Als wir mit Golfschläger (Danke, Hansjörg!) bewaffnet und lautem Geschrei aus dem Shelter auf den Unhold losstürmten und ihm einen gehörigen Schlag mit dem Eisen verpasst und wohl einen grossen Schrecken eingejagt hatten, nahm er seine Beine unter die Arme und machte sich davon.
Wir machten das Fahrzeug sofort abfahrbereit und verzogen uns an eine Tankstelle, wo wir uns in Sicherheit wähnten.
Ich regte mich darüber auf, zu lange gezögert zu haben und den Betrunkenen nicht gleich zu Beginn seines Randalierens angegriffen und verjagt zu haben. So hätten wir vielleicht den Schaden am Fahrzeug verhindern können, der uns bestimmt ein paar Tage aufhalten wird, bis wir eine Lösung für das zerstörte Fenster gefunden haben.
Wir verklebten das Fenster mit einer auseinander geschnittenen IKEA-Tragtasche, so dass in der regnerischen Nacht kein Wasser in die Kanzel eindringen konnte. Jetzt war die Kabine notdürftig verschlossen und wir konnten uns an der beleuchteten und besetzten Tankstelle schlafen legen.
Diese Nacht schlief ich nicht gut, der Schrecken sass mir noch in den Knochen und entsprechend verarbeitete mein Unterbewusstsein das Erlebnis in Träumen.



Figur auf dem Mamay-Hügel
12. Mai 2019 | Волгоград (Wolgograd)

Den Sonntag verbrachten wir statt mit dem Museumsbesuch mit der Besichtigung des Mamay-Hügels, wo zum Gedenken an die Schlacht von Stalingrad und der heldenhaften Verteidigung dieses strategisch wichtigen Orts eine riesige Statue, ein Mahnmal und eine grosse Anlage errichtet worden waren. Wir hatten das Glück – oder war es die wieder einmal perfekte Planung von Lorenz? - eine Wachablösung im Mahnmal mitzuerleben. Die Ehren-Soldaten, junge Männer, die Stunden regungslos in «Achtung»-Stellung dort stehen müssen, wurden von einem Trupp mit dem typischen russischen Stechschritt in einer eindrücklichen Zeremonie abgelöst.










Innenansicht Mahnmal
Das gesamte Gelände ist in seiner Anlage und den darauf befindlichen Skulpturen, Wandbildern und Gebäuden ein den Einsatz gegen und den Sieg der russischen Armee über den Angriff des nationalsozialistischen Deutschen Reichs in heroischer Art und Weise verehrendes Gesamtkunstwerk. Ich habe noch nie ein derart symbolträchtiges Mahnmal gesehen und war beeindruckt von diesem Erlebnis. Als Schweizer, der keine solchen Gedenkstätten in seinem Land besuchen kann, wurde mir bewusst, wie schwer die Last des Krieges und dem damit verbundenen Leiden wiegt, dass aber auch ein grosser Stolz, ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Einheit durch solch einschneidende Geschehnisse entstehen.
Wachablösung mit Stechschritt
Mir ist bewusst, dass Kunsthysteriker nicht viel von der sowjetischen Heroismus-Kunst halten und wahrscheinlich ihre Köpfe ob meiner Zeilen schütteln – die Gefühle, die solche Mahnstätten erzeugen, sind jedoch ungeachtet des kunsthistorischen Werts stark und unmissverständlich. Jeder, der hier war und den Zusammenhang der Objekte, der Rituale und des Konzepts der Anlage mit den Ereignissen in der hier heftigen Phase des Krieges herstellt, wird mit bleibenden Eindrücken weiter ziehen.
kunstvolle Keramik
Leider verstand ich fast nichts von den ausschliesslich in russisch gehaltenen Texten – Übersetzungen sind grundsätzlich nicht verfügbar, was meines Erachtens bewusst so ist und dem des Russischen nicht mächtigen Besucher ein eindeutiges Zeichen vermittelt.
Farbenspiel am Mamay-Hügel
Es wurde mir hier bewusst, wie einschneidend und prägend die Ereignisse während des zweiten Weltkriegs für das gesamte russische Volk – oder alle sowjetischen Völker – waren und sind. Noch heute werden die Kinder eindeutig und ganz gezielt mit der Erinnerung an diese mittlerweile 76 Jahre zurückliegende Zeit erzogen und an den Feierlichkeiten zum Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands sind immer auch ganz kleine Kinder beteiligt und reisen Jugendliche in Gruppen aus entfernten Regionen an, bringen Requisiten und Kostüme mit und wissen sich entsprechend zu verhalten.
monumentale Skulpturen

heroische Posen in Beton


Blick Richtung Stadtzentrum

Industrie am Fuss des Mamay

Dragan und sein Gaz





























Ich traf beim Parkplatz der Gedenkstätte einen armenischstämmigen Russen mit seinem Gaz-«Jeep» in Uniform, der zusammen mit seinem wie Josef Stalin aussehenden Kumpel weitere Uniformen und Waffen für fotofreudige Besucher des Mahnmals bereit hielt und redete ein wenig mit ihm – lustigerweise trafen wir ihn später noch einmal auf dem in der Nähe liegenden Parkplatz, wo wir das Mittagessen gekocht, die Kabine von den Glasscherben gesäubert und Fotos entwickelt haben. Er gab uns einen Tipp, wo wir Plexiglas für einen Ersatz der eingeschlagenen Scheibe finden könnten...leider hatte aber der russische OBI kein solches Material.
zwei Oldtimer nebeneinander: Gaz (1972) und Iveco 100-17 (1990)

SU 7/17, MiG 21 und MiG 19 (?)
Am späteren Nachmittag fuhren wir zu dem Aussenquartier der Stadt mit etwa 100 km Nord-Süde-Ausdehnung, das uns der Tankwart von letzter Nacht für unsere Suche nach Plexiglas angegeben hatten, mussten den Einkauf aber wegen der sonntags grossenteils geschlossenen Geschäfte auf den nächsten Morgen verlegen.
Dafür konnten wir die nahe gelegene Feuerwehrstation besuchen und Lorenz hatte Gelegenheit, ausführlich mit den russischen «Firefighters» zu fachsimpeln.

Jetzt stehen wir auf einem von einer Frau und einem Hund bewachten Parkplatz unweit des Geländes mit den Geschäften, wo wir hoffen, morgen unsere Ersatzscheibe kaufen zu können. Diese Notlösung wird uns hoffentlich für den Rest der Reise dienen – zu Hause wird Lorenz am Muni wieder eine Originalscheibe einbauen müssen um ihn auf der MFK prüfen lassen zu können. Eine solche zu finden dürfte gar nicht so einfach sein, er hofft in Deutschland bei einem der vielen Gebrauchtwagenhändler fündig zu werden.






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