Voraussichtliche Reisedaten

Freitag, 10. Mai 2019

10. Mai 2019 | Елиста (Elista) - Соленое Займище (Solenoye Zaymishche) (RU) | 300 km

Der heutige Tag war ein leuchtendes Beispiel für die perfekte Reiseplanung von Lorenz' «Reisebüreo für Abenteuerreisen nach alter Zigeuner-Art»: er machte das Unmögliche möglich, organisierte nicht nur perfekte Strecken, sondern auch das passende Wetter, die richtigen Menschen auf dem Weg, sogar an ein paar seltene Tiere hat er gedacht und zum Schluss bot er DIE perfekte Abendstimmung an einem grossartigen Platz wo ich meiner Lust zu fotografieren frönen konnte...aber eins nach dem anderen…;)

Die Landschaft im Flusstal der unteren Wolga ist recht eintönig, ist man auf Erhebungen im Gelände angewiesen um Abwechslung zu erkennen – aber sie lässt einen das Auge für das Spezielle und Schöne schärfen und Grossartiges erkennen. So ging es mir heute.

Die ersten etwa 100 km auf der Strecke nordwärts Richtung Wolgograd flogen dahin, denn wir befanden uns auf einer guten, breiten Strasse, die wegen des entspannten Brücken-Tages nach dem grossen Siegesfeier-Jubiläum sehr schwach frequentiert war. Links und rechts der Strasse die Weite: diese unendliche Weite der kalmükischen Ebene, die heute ein wüstenähnliches Gebiet ist – die einzige Wüste in Europa – aber wegen des Frühlings recht grün und mit vielen blühenden Pflanzen übersät ist. Im Hochsommer mag es hier trocken sein und die Vegetation ist dann wahrscheinlich verdorrt und längst nicht mehr so ansehnlich wie bei unserer Durchfahrt. Die Desertifikation dieses riesigen Gebiets rührt von einer verfehlten Entwässerungspraxis zur Sowietzeit her, wo man das hier eigentlich reichliche Wasser ableitete um damit in anderen Gebieten Plantagen und Felder zu bewässern. 

Lorenz, Muni und die Steppe
Bei Ketchenery bogen wir rechts ab und fuhren ostwärts ins kalmükische Hinterland, denn wir wollten kleinere Strasse entdecken und die Stimmung abseits der grossen Route kennen lernen. Hier war die Strasse – eine Klasse «schlechter» als die grosse Route, jedoch immer noch sehr gut im Schuss und wir kamen gut voran. 









Objekt in der Landschaft
Irgendwo im Nirgendwo erblickte Lorenz ein Objekt abseits der Strasse und schlug vor, dorthin zu fahren. Ich lenkte den Muni nach rechts und wir fuhren etwa anderthalb Kilometer quer über das Grasland, wo es stark nach einem thyminanänhlichen Kraut roch, das unseren Nasen schmeichelte. Es war ein kleiner Turm aus Backsteinen, eine Landmarke, ein buddhistisches Objekt, ein Wegzeichen...wir fanden es nicht heraus. Wir fanden Federn, die von einem Adler sein konnten, zogen den feinen Geruch der Steppe und des Krauts ein, labten uns am Anblick der Steppe – oder Wüste – ohne jegliche menschliche Zeichen, untersuchten den weichen Boden aus Flusssedimenten, der bei Regen wahrscheinlich tief und schlammig wird, und machten Fotos von Landschaft, Muni und uns.
Xoff auf dem Muni

«Run, Lenz, run!»

Verwüstung im Shelter
Weiter ging's auf der Strasse, die immer holpriger wurde und vor allem durch die Bodenwellen unser Fahrzeug kräftig schüttelte und auf und ab schaukeln liess. Das Resultat der rund 50 km wie auf einer Achterbahnfahrt war, dass einer unserer Oberschränke sich trotz Sicherung geöffnet hatte, seinen Inhalt dem freien Flug Pries gegeben hatte und uns ein Bild der Verwüstung erwartete als wir ein Mittagessen kochen wollten. Schalen waren zerbrochen, das Besteck lag auf dem Boden verteilt und allerlei Kleinzeug war herumgeschleudert worden – es war ein Bild wie nach einem Erdbeben. 
Durch diesen Vorfall hat sich unser Geschirr reduziert, was kein Drama ist, denn das Wichtigste war noch vorhanden. So wurde das Unnötige quasi wie von selber aussortiert.
Wir haben aufgeräumt und den Schrank behelfsmässig mit Gaffer-Tape gesichert – in der nächsten grossen Stadt werden wir neue Sicherungen kaufen und montieren. 

Kuhschädel am Muni
Irgendwo lag ein ausgebleichter Kuhschädel, den ich am liebsten mitgenommen und am Fahrzeug befestigt hätte – aber es kam uns nicht gerade die richtige Idee dafür. So machten wir ein paar Fotos und liesen den Überrest einstigen Lebens am Strassenrand liegen.












Ende des Asphalts
Bei Barun, das hart an der östlichen Grenze Kalmükiens zur Republik Astrachan liegt, hörte die geteerte Trasse auf und wir wechselten auf eine Piste. Es war die kürzeste Verbindung zur nächsten asphaltierten Strasse, die der Wolga entlang von Astrachen nach Wolgograd führt. Den Weg erfragte Lorenz bei einem Hirten, der uns sogar hinterher fuhr und uns, als wir unsicher waren, welche Spur wir einschlagen sollten, bereitwillig die richtige Richtung wies. Wir sollten geradeaus fahren und dann dem Kanal entlang.





Piste auf dem Damm
Der Untergrund war relativ weich – eben dieses hier ausschliesslich vorkommende Flusssediment mit einer hellbraunen Farbe – und die Fahrbahn war in einem tadellosen Zustand, so dass wir zügig fahren konnten. Bald erreichten wir den Kanal – eben einer dieser Kanäle, die das Wasser ableiten – und fuhren auf dem Damm in der gleichen, ausgezeichneten Spur.








Schon vorher, auf dem Asphalt, hatte ich einige überfahrene Schlangen entdeckt. Hier erblickte ich jedoch eine lebendige, die mindestens vier Zentimeter dick, mehr als einen Meter lang und sehr dunkel, fast schwarz war und die sich schnell aus dem Staub machte, als wir heranbrausten. Gleich danach erspähte ich ein Fischadler-Pärchen, das einige Hundert Meter neben uns her flog, sich fast neben der Trasse niederlassen wollte und dann davon schwebte. Was für ein erhebender Anblick! 
Nur wenige Kilometer weiter stand eine kleine Pferdegruppe mit einigen Fohlen mitten auf der Piste und wir näherten uns ganz langsam, weil wir einen Hirten vermuteten, den wir nach dem Weg fragen wollten. Da war aber niemand und die Pferde blieben so lange stehen bis wir ganz nahe an sie heran gekommen waren. Erst dann bewegten sie sich und einige galoppierten davon, andere wichen langsam zur Seite und liessen sich durch uns nicht stören.






nach dem Weg fragen
Irgendwann führte die ausgefahrene Piste weg vom Kanal und ich fragte einen kurligen Hirten, der dort draussen, weitab von jeglicher Behausung seine Herde aus Kühen und Pferden hütete, nach dem Weg. Er deutete in eine Richtung und meinte – so glaubte ich – dass dies schon der richtige Weg sei. 










Jlias und seine Familie
Beim nächsten Hof, wahrscheinlich von Rinderzüchtern, half man uns wieder sehr freundlich….aber wir kamen nicht weit. Bei einem Hof, der nur wenige Hundert Meter von diesem entfernt war, trafen wir weitere freundliche und hilfsbereite Russen. Zuerst schaute eine Frau aus der Tür, dann streckte ein Kind nach dem anderen seinen Kopf heraus und schliesslich tauchte der Hausherr, Jlias, auf. Er erklärte Lorenz, der ausgestiegen war, den Weg und bat uns zum Essen herein. Also packten wir eine Tafel Schweizer Schokolade – eine unserer letzten – und ein Spiel-Taschenmesser für die Kinder und gingen zu der Schafzüchter-Familie ins Haus, wo uns in der Küche ein einfaches Mahl aus Khinkali (diesmal auf azerbaidschanische Art mit einer deftigen Knoblauch-Sosse) und eine grosse Schale mit Fleischstücken am Knochen angeboten wurde. Wir langten etwas zögerlich zu, hatten wir doch erst etwas mehr als eine Stunde davor in unserem Shelter gegessen. Das lange gekochte Fleisch schmeckte trotz in meinen Augen etwas unappetitlichen Aussehens sehr gut und die Khinkali waren sehr lecker.
Jlias fährt voraus

er erklärt den Weg

Mit Hilfe des Übersetzers auf unseren Handies konnten wir uns ein wenig unterhalten und erfuhren, dass erst vor kurzer Zeit auf unserer Trasse ein Rennen stattgefunden habe. Jlias erwähnte die Ralley Paris-Dakkar, die hier vorbei gekommen sei (diese Ralley führt schon lange nicht mehr von Paris nach Dakkar, sondern heisst nur noch so) und Lorenz tippte in mein Fairphone, dass wir wohl die letzte Equipe seien. 
Jlias fuhr uns nach unserem kurzen Aufenthalt und einigen Erinnerungsfotos mit der ganzen Familie ein wenig voraus und zeigte uns dann draussen auf dem Feld, welche Piste wir nehmen sollten.

Es waren vielleicht noch 25 km bis zur grossen Strasse und wir konnten wie vorher schon mit etwa 40 km/h fahren. Ich hätte nicht gedacht, dass das Fahren auf solchen Pisten so angenehm sei und Lorenz, der jetzt am Steuer sass, muss wohl ein verkappter Ralley-Pilot sein, so gekonnt steuerte er den Muni durch die Steppe.

Canyon am Wolgaufer
Als wir auf die grosse Strasse kamen, die von Astrachan nach Wolgograd führt, und die ein ganz anderes Fahren zulässt, suchten wir uns bald einen Platz zum Übernachten, den wir in einer grossartigen Landschaft gleich am Ufer der Wolga fanden. Hier hat der Fluss und vor allem das Wasser, das aus dem Umland in den Fluss fliesst, eine ganz spezielle Landschaft geprägt: vorne am Fluss fällt die minestens 20 Meter hohe Sedimentschicht abrupt in klippenähnlicher Form ab, dahinter hat das Wasser eine Art Canyon-Landschaft erodiert, die mit ihren hell-rotbraunen Wänden und der Steppenvegetation oben drauf ein besonders Bild abgibt. 


Foto-Xoff
Ich war – auch wegen der mittlerweile sehr tief stehenden Sonne – im siebten Fotografenhimmel und konnte mich vor Begeisterung kaum halten. 















Lorenz und seine Handorgel <3




Als dann Lorenz, nachdem wir den Lastwagen direkt an den Klippen geparkt hatten, seine Handorgel auspackte und am Wolgaufer zum sich anbahnenden grossartigen Sonnenuntergang zu spielen begann, hätte auch ein russischer Meisterregisseur keine besser Szenerie erfinden können. 










Es war der perfekte Tag, angefüllt mit unglaublichen Erlebnissen, grossartigen Bildern, faszinierenden Situationen und erhebenden Stimmungen.

Danke Lorenz!



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