Voraussichtliche Reisedaten

Donnerstag, 2. Mai 2019

30. April 2019 | Tsivtskaro (GE) – Russische Grenze bei Vladikavkas (RU)| 125 km

Das Rattern der Sortieranlagen auf der Kiesgrube weckte mich heute aus dem wie üblich von chaotischen und nervenaufreibenden Schlaf, draussen schien die Sonne wie seit mehr als einer Woche an einem wolkenlosen Himmel und die Blase schrie nach Entleerung. Die rund 70 Kilometer an die russische Grenze standen auf dem Plan und wir assen mutig ein Früchtefrühstück, ich trank meinen obligaten geliebten Schwarztee mit Milch und viel Zucker und schon bald drehte ich den Schlüssel im Zündschloss und der Muni ratterte zufrieden vor sich hin.

Tal Richtung russische Grenze
Der sogenannte «Georgian Military Highway» war unsere Fahrunterlage, die militärisch standesgemäss mit Schlaglöchern, Fahrrinnen und einem wellenartigen Belag, der unser Fahrzeug unregelmässig hoch und runter hob, so dass die Sitzfederungen ihr Bestes geben mussten, durchzogen war. Wie auf so einer Strasse Schwerlasttransporte mit Panzern, Zisternen- und Tankwagen, ganze Battaillone Truppen und schweres Gerät transportiert werden soll, wird mir immer ein Rätsel bleiben...aber ich hielt eh noch nie viel vom Militär.

Der hohe Kaukasus kam uns immer näher, die schneebedeckten Gipfel wurden grösser und die Strasse immer steiler und gewundener. Eine grossartige Kulisse zog an uns vorbei, die Restaurants und Hotels am Strassenrand waren fein herausgeputzt und die Autokennzeichen wurden internationaler. Nachdem im bisherigen Georgien meist nur georgische Fahrzeuge zu sehen waren, kreuzten wir heute zunehmend russische, armenische, kasachische und aserbaidschanische Autos, Lastwagen und – ganz neu – auch Motorräder. Die Passstrasse im Tal desWeissen Aragvi-Flusses schlängelte sich in die Höhe und kulminierte auf 2350 Metern über Meer. Dort hat es Skilifte, ein Hotel «Edelweiss», Schneeräumungsfahrzeuge genauso wie in den Alpen. Ein Sessellift schien sogar noch in Betrieb zu sein, wir sahen zumindest zwei Skifahrer auf ihren Skiern. Wahrscheinlich wird der Lift aber jetzt, Ende Saison, nur in Betrieb genommen, wenn jemand befördert werden möchte, was an sich sinnvoll ist.
Jetzt, im Bergfrühling, sind vor allem die Paragliding-Tandem-Flüge angesagt – an den Startplätzen standen die Flugwilligen Schlange.

Mount Kasbegi (5047 m.ü.M) und Dreifaltigkeitskirche
Da diese Strasse die Hauptverkehrsachse zwischen Georgien und Russland ist, müssen alle Fahrzeuge, auch grosse 40-Tonnen-Schlepper, über den hohen Pass, was zeitweise zu abenteuerlichen Kreuzmanövern führt. Es ist erstaunlich, dass wir keinen einzigen Unfall sahen und auch selber nie in eine brenzlige Lage kamen. Die Personenwagen haben es da schon schwieriger. Etliche standen am Strassenrand, mehrere Männer schauten scheinbar ratlos in den Motorenraum, einige waren im Begriff ein Rad zu wechseln und einer stand sogar in einer Steigung und hatte die letzten 30 Meter eine schwarze Ölspur hinter sich hergezogen: er war mit der Ölwanne auf einen Steinbrocken aufgefahren, der ihm dieselbe offensichtlich aufgerissen hatte und die Fahrt damit abrupt beendet hatte. Was für ein Pech!

Wir hatten es am schwierigsten in den unbeleuchteten Tunnels, deren Wände sich bedrohlich im Bogen neigten und unserem Aufbau gefährlich nahe kamen. Deshalb musste ich den Lastwagen über die Mitte der Fahrbahn hinaus auf die Gegenfahrbahn lenken um nicht mit der Tunnelwand zu kollidieren. Die anderen Strassenbenutzer goutierten das mit einer lässigen Selbstverständlichkeit, sie wusste offensichtlich um die Schwierigkeiten, die eines Lastwagens in solchen Tunnels harren.

Auf der ganzen Route begleitete uns der Solitär Mount Kasbegi, der wie das Matterhorn alleine und hoch aus der Bergkette heraus ragt. Ein eindrücklicher und furchteinflössender Berg für einen Flachländer wie mich.

Der Abstieg auf der anderen Seite des Passes in die Region Kasbegi war nicht minder spektakulär – unten auf einer mittleren Höhe hielten wir im letzten grösseren Ort, in Stepansminda. Dort gab es etwas zu essen und während wir Katchapuri und Salat genossen stiessen mit Susanne und Pascal ein junges Schweizer Paar zu uns, die seit bald 16 Monaten auf Weltreise sind. Wir tauschten aus, erzählten, berichteten und staunten. Bald darauf kamen noch zwei ältere Holländer auf ihren Enduro-Motorrädern, die auch auf dem Weg in die Mongolei sind und als nächstes den Iran bereisen wollen. Auch sie kennen die Schwierigkeiten mit der Einfuhr von grossvolumigen Motorrädern in dieses von allen gepriesene Land, wollen es aber trotzdem versuchen, denn sie kennen einen erfahrenen iranischen Motorradfahrer, der ihnen wahrscheinlich die Einreise ermöglichen kann.

Nach dem Mittagessen fuhren wir etwas weiter und wollten in der Nähe der Grenze zu Russland Halt machen, standen aber plötzlich vor dem Grenzposten, wo natürlich ein längerer Halt nicht möglich war. Bis zum 1. Mai, an dem unser Visum für Russland beginnt, waren es noch mehr als acht Stunden. So fuhr ich uns wieder zurück nach Stepantsminda, wo sich ein grosser Parkplatz unterhalb der Kirche auf einem prominenten Hügel als Warteraum anbot. Dort konnte ich ein paar Berglandschaftsfotos und Aufnahmen einer spannenden Felsformation machen bevor wir in einem netten Restaurant ein kleines Abendessen genossen. Danach, nach Sonnenuntergang schoss ich noch ein paar Nachtaufnahmen und dann setzten wir uns wieder Richtung Russland in Bewegung.

Unser Plan war, zwischen 10 und 11 Uhr abends Georgien zu verlassen und dann kurz nach Mitternacht an der russischen Grenze zu stehen. Fast wäre der Plan gescheitert, weil die Zöllner bei der Ausreise meinten, uns wie einen TIR-Transporter behandeln zu müssen. Ich musste das Fahrzeug verlassen und zu Fuss über die Grenzkontrolle gehen und auf der anderen Seite auf Lorenz mit dem Muni warten. Er kam nach rund einer Stunde, sollte aber wieder zurück fahren um im TIR-Abfertigungszentrum südlich von Stepantsminda zu Formalitäten zu erledigen – ich durfte jedoch die Grenze nicht wieder überschreiten und sollte warten. Im letzten Moment merkten die Grenzbeamten noch, dass wir ja als Touristen eingereist waren und somit auch keine Ausfuhrpapiere brauchten. Lorenz fuhr also nach der Rückkehr nach Georgien zum dritten Mal über den Zoll und konnte mich wieder aufladen.

Wir warteten bis kurz nach Mitternacht und fuhren dann an den russischen Grenzposten, wo sich wie zuvor am georgischen ein Gedränge in der Warteschlange abspielte, das sehr unterhaltsam anzusehen war. Wir warteten rund anderthalb Stunden bis zur Abfertigung, wurden wieder falsch eingewiesen und konnten nach einigen Diskussionen, dem Zeigen und Abstempeln der Pässe und einer genauen Inspektion der Fahrzeuge fast schon die Grenze passieren, als alles ins Stocken kam als wir die Fahrzeuge in einem letzten Schritt vorübergehend importieren sollten.
Wie erwartet war das Problem, dass alle drei Fahrzeuge auf Lorenz zugelassen sind, was scheinbar im elektronischen Zollabfertigungssytem nicht vorgesehen ist. Ein Grenzoffizier mit der typischen russischen Mütze, die auf dem Kopf viel zu gross erscheint, gab sich zwar alle Mühe, fragte verschiedene Kollegen und versuchte alles Mögliche, am Ende funktionierte es aber trotzdem nicht und so stehen wir nun gleich hinter dem Zollgebäude, ohne Pässe und Fahrausweise und verbringen eine kurze Nacht im Muni um es dann morgen früh wieder zu versuchen wenn die Tagschicht an der Arbeit ist.

Ich bin ob des komplizierten Systems ziemlich genervt und frage mich, wieso das alles so kompliziert sein muss. In einer Zeit, in der die Menschen vermehrt reisen, wo individuelles Reisen in allerarten Fahrzeugen in Mode ist und es in unserer Heimat in Mitteleuropa immer einfacher wird, sich zu bewegen, muten die Probleme, die eigentlich nur im elektronischen Erfassungssystem begründet sind, ein wenig allzu stark schildbürgerhaft an. Wir hoffen sehr, dass die Tagschicht mehr ausrichten kann als diejenige in der Nacht und ich gehe mit einem mulmigen Gefühl schlafen.

Morgen werde ich mehr erzählen können und hoffe, es nicht von Georgien aus tun zu müssen, sondern aus Russland über unser mitgebrachtes mobiles WLAN tun zu können.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

21. Juli 2019 | Basel | Danke!

Rumänien - Constanta Ich sitze knappe 48 Stunden nach unserer Rückkehr in die Schweiz gemütlich in Susannes Wohnzimmer bei einen Schw...