Voraussichtliche Reisedaten

Donnerstag, 2. Mai 2019

1. Mai 2019 | Russische Grenze (RU) – Stepantsminda (GE) | 15 km


Das Erwachen am frühen Morgen war nach einer Nacht neben einem Kühllaster der ältesten und rostigsten Generation, die überhaupt noch auf Strassen verkehrt, von Kopfschmerzen begleitet und ziemlich unfreundlich….und ebenso ging es auch weiter.

Lorenz war schon längst draussen und versuchte, die Zollformalitäten für unsere Fahrzeuge in Ordnung zu bringen, aber der langen Geschichte kurzer und bitterer Schluss ist, dass wir nicht nach Russland eingelassen wurden. Zwar waren die Zollbeamten sehr freundlich und zuvorkommend, gaben sich allergrösste Mühe, aber Gesetz ist Gesetz und dieses lautet auf einen einfachen Nenner gebracht: ein Mann, ein Fahrzeug. Anhänger geht gar nicht.

Dreifaltigkeitskirche vor Bergkulisse
Also bestiegen wir irgendwann nach 10 Uhr den Muni, wurden rasch am Ausreise-Gate abgefertigt und traten die distanzmässig kurze Reise zurück nach Stepantsminda (1700 m.ü.M.) in Georgien, wo wir tags zuvor genächtigt hatten, an. Rund die Hälfte der Strecke konnten wir zügig zurücklegen, als am Ende eines Tunnels die letzten Autos, die sich von der georgischen Grenzstation her zurückstauten, auftauchten. Eine elend lange Schlange hatte sich gebildet und in den folgenden rund zweieinhalb Stunden bot sich uns ein spektakuläres Schauspiel russischer, armenischer und kasachischer Fahrkunst. Die Schlange auf der zweispurigen Bergstrasse war rund vier Kilometer lang, es kamen uns vereinzelt Personenwagen und LKWs entgegen, was aber besonders schlaue Autmobilisten nicht daran hinderte, auf der Gegenfahrbahn zu überholen und zu versuchen, sich irgendwo weiter vorne in die Schlange zu drängeln, was natürlich die bereits Wartenden nicht goutierten und mit abenteuerlichen Fahrmanövern versuchten, das Hineindrängen zu verhindern. Es wurde gehupt, viele schüttelten die Köpfe, die meisten nahmen den Egoismus der Drängler aber stoisch hin. Es sah so aus, als sei das Gang und Gäbe.
Besonders spannende wurde es, wenn Lastwagen entgegenkamen, die aufgrund ihrer Breite vor allem in den Tunnels wenig Möglichkeiten hatten, auszuweichen. Zeitweise standen Autos kreuz und Quer auf beiden Fahrbahnen und ich erwartete jederzeit eine Massenschlägerei, was in unseren Breiten bei derart forschem und egoistischem Fahrstil bestimmt der Fall gewesen wäre.

Irgendwie schafften wir es trotzdem, immer schön artig in der Schlange bleibend und unsere Position verteidigend, an den georgischen Zoll, die nicht schlecht staunten, als wir wieder auftauchten. Einige der Zollbeamten kannten uns noch vom Vortag und fragten, was denn los gewesen sei.

Gegen 15 Uhr, also nach rund 5 Stunden, fuhren wir wieder auf georgischem Grund und hatten beide keine grosse Freude daran. Wir wären viel lieber in Vladikavkas am Schlafen gewesen.
Die Episode hat mich an die Grenzen der Verzweiflung gebracht und ich konnte den Sinn, resp. den Unsinn der systemischen Unwägbarkeiten schlicht nicht begreifen. Zeitweise hätte ich am liebsten aufgegeben, während Lorenz immerdar meinte, das komme schon gut, was meine Verzweiflung selbstredend noch verstärkte.
Mittlerweile, nach einem längeren Gespräch und dem Überdenken der Situation beginne ich, diesen «Rückschlag» als Weg zu begreifen. Wir müssen nun entscheiden, wie es weiter gehen soll, nachdem ein Ereignis unseren Vortrieb Richtung Osten vorerst gestoppt hat. Dieses Ereignis wird uns bestimmt ein, zwei, vielleicht auch mehr Tage aufhalten und unser Vorgehen beeinflussen. Es gehört aber zu unserer Reise und wird eines der vielen Abenteuer werden, das wir einmal unseren Enkeln erzählen werden.

Den Anhänger müssen wir auf jeden Fall loswerden. Wie das rechtlich vonstatten gehen soll, klären wir als erstes ab. Da wir ihn in Georgien eingeführt haben und hier lassen werden, muss er zolltechnisch abgerechnet und in der Schweiz abgemeldet werden. Ob wir das Motorrad weiter mitnehmen und folglich immer einer von uns darauf fahren wird, wissen wir noch nicht sicher. Ursprünglich war geplant, es als kleines, wendiges Zusatzfahrzeug zu benutzen, mit ihm Rekognoszierungen, Einkäufe und dergleichen zu unternehmen. Nehmen wir es weiter mit, fehlt uns die Ausrüstung für kalte und nasse Fahrten – lassen wir es ebenfalls in Georgien, wird es uns bestimmt bei gewissen Situationen fehlen.

Als wir heute, zur «Feier» des Tages, im Restaurant essen waren und ich wieder einmal WiFi benutzen konnte, erfuhren wir, dass Vreni und Peter, die beiden Motorradreisenden aus Nidwalden, die wir in Tiflis kennen gelernt hatte, die Einreise mit ihren Maschinen im Iran verweigert wurde. Auch sie müssen ihre Pläne ändern und entscheiden, wie es weiter gehen soll.

Mir wurde heute bewusst, dass unsere Reise keine dieser wohlgeplanten und perfekt planbaren Reisen ist, sondern dass jeder Tag Überraschungen bereit halten kann, die unter Umständen den weiteren Verlauf massgeblich beeinflussen. Die Erfahrungen aus solchen Ereignissen erweitern nicht nur unser Wissen und unsere Erfahrung, sie prägen den Charakter der Reise an sich und tragen zum Gesamten bei. Es ist auf alle Fälle ein leichter verdaubares Ereignis als ein Unfall oder ein grosser Schaden an einem der Fahrzeuge und wir werden eine Lösung finden. Mir persönlich zeigten die vergangenen 24 Stunden, dass es einen grossen Unterschied zwischen Ferien und Reisen gibt, dass der Erfolg des Einen von der Güte des Buffets im Viersternehotel abhängen und die Güte des Anderen von der Lösung allfälliger Probleme beeinflusst werden kann. Wir werden etwa sechs Monate unterwegs sein – wo uns der Weg durchführt und welche Erlebnisse, Bekanntschaften und Entwicklungen uns in dieser Zeit widerfahren werden, ist nicht planbar und soll es auch gar nicht sein.

In diesem Sinn freue ich mich auf die kommenden Tage und bin gespannt, welche Lösung wir ausbaldowern werden.


Während Lorenz seinen Schlaf am späteren Nachmittag nachholte fuhr ich jedenfalls zur Dreifaltigkeitskirche oberhalb unseres Standplatzes hinauf und schoss ein paar Fotos. Diese Kirche stammt teilweise aus dem 14. Jahrhundert und liegt spektakulär auf einem spitzen Hügel auf einer gefühlten Höhe von 3000 m.ü.M. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen, die mit geländgängigen Kleinbussen hochgefahren werden, da nur diese die scheints absichtlich nicht vom Schnee freigeräumte Strasse im obersten Abschnitt passieren können. Das Schauspiel der Selfie-Russinnen und der ängstlichen Mütter mit ihren Kindern ist beinahe so erwähnenswert wie der Bau an sich.

Das Panorama haut mich, der ich eigentlich aus Grindelwald stamme und die Schweizer Bergwelt vom Anschauen her recht gut kenne, nicht aus den Socken – es sind einfach schneebedeckte Berge - aber die Kombination mit dieser grandios in die Landschaft gebauten Kirche ist schon ein «Must» wenn man schon in der Gegend ist.


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