Heute gab's wieder einmal meinen geliebten Schwarztee mit Milch(Pulver) und viel Zucker zum Frühstück und es war herrlich, konnte ich doch bis in den Abend aus der genialen «24»-Flasche (Danke Mylène!) davon trinken, weil er über 12 Stunden lang heiß blieb.
Und wieder war ein Stadttag angesagt, denn unsere beantragten e-Visa für Tadschikistan sind noch nicht bestätigt worden.
Lorenz und ich trennten uns nach einer kurzen gemeinsamen Taxifahrt beim Historischen Museum, das er besuchen wollte, während ich zum Ulug'Bek-Observatorium am anderen Ende der Stadt weiter fuhr.
Mirzo Ulug'Bek |
Mirzo Ulug'Bek, der kongeniale Wissenschaftler und nicht sehr erfolgreiche Herrscher und Feldherr, Enkel des für seine Feldzüge und sein Reich berühmten Amir Timur, dessen Mausoleum ich gestern besichtigt hatte, begrüsste mich in Bronze überlebensgross auf der grossen Freitreppe, die zum Hügel des ehemaligen Observatoriums führte.
Oben auf dem Hügel steht ein Ensemble aus den ausgegrabenen und restaurierten Überresten des Observatoriums und einem ganz neuen, kleinen Museum im Stil der typischen Timoriden-Architektur des 15. Jahrhunderts.
heutige Anlage des restaurierten Observatoriums |
Das Observatorium, das Ulug'Bek 1424-28 für die Astronomen seiner Medrese am Registon erbauen liess, wurde nach dessen Ermordung von religiösen Fanatikern zerstört und geplündert, die dort das «Grab der 40 Jungfrauen» proklamierten und damit grosse Profite erzielten. Erst 1908 fand der russische Archäologe Vyatkin Hinweise auf den ehemaligen Standort des Observatoriums und es gelang ihm, die unterirdischen Überreste zu finden und freizulegen.
Rekonstruktionsmodell |
Das ursprüngliche Gebäude war ein kreisrunder Bau von 30 m Höhe und einem Durchmesser von 46 m, in dessen Innern ein gigantisches Goniometer – ein senkrecht stehendes Kreissegment – von 40,21 m Durchmessern zur Beobachtung von Sonne, Mond und anderen Himmelskörpern diente.
Querschnitt mit Blick auf das Goniometer |
Das sextantenartige Instrument war mit einer unglaublichen Präzision in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet, was mit modernen Messmethoden nachgewiesen werden konnte. Durch die Grüße und genaue Ausrichtung konnten exakte astronomische Beobachtungen gemacht werden, welche oft über Jahre dauerten.
Ulug'Bek beim Ablesen einer Messung |
Überreste des Goniometers |
So gelang dem grossen Team an Wissenschaftern unter anderem die auf wenige Gradsekunden genaue Bestimmung der Schiefe der Ekliptik (Winkel der Sonnenbahn zum Himmelsäquator), die Berechnung des Erdenjahrs auf weniger als eine Minute genau und die sehr präzise Bestimmung der Position von fast 1000 Fixsternen, die heute noch gültig ist und in der Wissenschaft genutzt werden kann.
Das Observatorium war Prototyp für die Observatorien «Jantar Mantars» des indischen Maharadscha Singh II. (18. Jhrh.) in Delhi, Ujjain, Jaipur, Mathura und Varanasi und die Grundlagenschrift «Zidsch-i Gurgani», die zusammen mit den Sterntafeln vom Astronomen Ali Al-Quschdschi vor der Plünderung gerettet und nach Konstantinopel überführt wurd, wo sie der westlichen Welt bekannt wurde, bildete die Grundlage für die moderne Astronomie. Das Werk, das von namhaften Wissenschaftlern übersetzt und überprüft wurde, konnte erst von Tycho Brahe im 16. Jahrhundert übertroffen werden.
Teil des Museums |
In dem kleinen aber sehr umfangreichen und auch auf Englisch dokumentierten Museum werden Rekonstruktionsmodelle, Originalschriften, Erklärungen und weiterführende Informationen zum Mensch und Wissenschafter Ulug'Bek und dessen Mitstreitern sehr bekömmlich präsentiert, so dass ich mich trotz der vermeintlich geringen Exponatanzahl längere Zeit an der Stätte aufhielt und schwer beeindruckt in der gleissenden Mittagssonne meinen Weg zurück in die Innenstadt unter die Füsse nahm.
grossartige Handwerkskunst |
Unterwegs kam ich an einer Häuserzeile vorbei, wo sich metallverarbeitende Kleinbetriebe eingerichtet haben und Gebrauchsgegenstände und Werkzeuge aus Blech und geschmiedetem Eisen und Stahl herstellen.
Schmiede von Innen |
Mit den versierten Handwerkern, deren Erzeugnisse mir ausserordentlich gefielen, kam ich leicht ins Gespräch und ich durfte ein paar der Werkstätten anschauen während sie versuchten, mir in usbekisch/russisch ihre Arbeit zu erklären. Wenn ich hier ein Haus bauen und einrichten müsste, wäre dort der richtige Ort um einige Teile zu kaufen.
Waschstelle neben der Strasse |
christlicher Friedhof |
Etwas weiter kam ich zu einem grossen Friedhof, der auf der Ablagerungsschicht etwas erhöht über der Hauptstrasse liegt und in einen christlichen und einen muslimischen Teil unterteilt ist. Zum christlichen Teil hat man kostenlos Zugang und ich durchmass das riesige Gelände mit seiner wild wachsenden Flora auf kleinen Trampelpfaden.
Blick auf das Shahi-Sina-Ensemble |
So gelangte ich an die Oberkante der Mauer, die den tieferliegenden, kostenpflichtigen Teil des Shahib-Sinda-Ensembles, eines aus sehr schön verzierten muslimischen Mausoleen bestehenden Friedhofs, umspannt und konnte einen Blick aus der Vogelperspektive auf die grossartigen Bauwerke und die angegliederte Moschee werfen und ein paar Fotos machen. Das ersparte mir die Eintrittskosten. Ausserdem fühle ich mich an wichtigen religiösen Orten nicht sehr wohl, da ich nie genau weiss, wie ich mich verhalten soll und ob ich durch meine Anwesenheit nicht das Verständnis und den Glauben der – hier – Moslems störe.
Verhaltensregeln für den Besuch einer moslemischen Kultstätte |
Hier waren Verhaltensregeln für den Besuch des sakralen Orts ausgeschildert, was meine Zurückhaltung für mein Empfinden bestätigte...ich bin halt ein sehr respektvoller Mensch und halte mich trotz der vielen Touristen, die diese Verhaltensregeln bestimmt nicht alle gelesen haben und sich wahrscheinlich auch nicht daran halten - beim Blick von der Mauer hatte ich jedenfalls dieses Gefühl als ich den dort anwesenden Touristen zusah wie sie sich aus meiner Sicht ungebührlich verhielten - meist zurück. In Shorts, einem verschwitzten T-Shirt und FlipFlops an betenden Moslems vorbei ein Heiligtum zu betreten ist einfach nicht meins…;)
Plastikplanen über den Ständen |
So setzte ich meinen Weg Richtung Zentrum fort und wurde schon bald von einem Gewitter überrascht – es gelang mir jedoch noch vor dem grossen Regen an den Bauernmarkt «Siab Bazaar» zu kommen, wo ich mich vor den niederprasselnden Tropfen in eine kleine Kaschemme rettete und in Ruhe eine dieser feinen Nudelsuppen mit Brot ass. So gestärkt war mein Ziel in dem mittlerweile mit Blitz und Donner losbrechenden Gewitter das nächste Café, wo ich gemütlich mit ein paar Usbeken – wer hätte das gedacht – einen Schwarztee trank und ihre Witzeleien und interessierten Fragen genoss, während die Betreiber der Marktstände im Aussenbereich alle Hände voll damit zu tun hatten, die sich mit Regenwasser füllenden Seen auf den über den Ständen notdürftig gespannten Plastikplanen so zu entleeren, dass die Auslage im Sturzbach nicht geschwemmt wurde. Auf den Treppen ergossen sich die zusammengelaufenen Wassermassen in regelrechten Bächen auf die tiefer liegenden Ebenen und die Marktbesucher bekundeten grosse Mühe, in ihren leichten Schuhen den Tümpeln und Regenflüssen auszuweichen und nicht y«einen Schlappen zu ziehen», wie wir in der Schweiz den Tritt ins Wasser und folglich gefluteten Schuhen und nassen Socken nennen.
Nach dem grossen Regen schlenderte ich über den Markt, wo alles angeboten wird was in einem einfachen Haushalt gebraucht werden kann. Von Fahrrädern über handgemachte Seifen, Gemüse und Obst, Nüsse und Beeren, Stoffe und Bettwaren bis zu Kleidern, Fleisch, Körben und anderen Gefässen findet der Hausmann oder die Hausfrau alles was das Herz begehrt.
Gemüsemarkt |
ein paar Himbeeren gefällig? |
Hostel Bahodir Innenhof |
Jetzt war es nur noch ein kleiner Fussmarsch bis zum Hostel Bahodir, wo ich den Rest des Nachmittags mit Vreni, Werner und Philipp bei – schon wieder! - Tee und interessanten Gesprächen verbrachte. Wir informierten uns über den Pamir-Highway und den Wakhan-Korridor, den Vreni und Werner wie wir befahren wollen, Werner erzählte von seinen Motorrädern und den Dragster-Rennen, an denen er als Helfer einer Nidwaldner Equippe teilnimmt und ich schwärmte von meiner ehemaligen Werkstatt und meinen Modellbooten.
Vrenis Kondor 350 |
Werner mit seiner Ducati 450 RT |
Philipps BMW F800 GS |
Werner und Vreni – sie ist eine begabte Schreinerin – fahren etwa die gleiche Strecke wie wir mit zwei Oldtimer-Motorrädern mit Ducati-Motoren, er eine Ducati 450 RT und sie eine Condor 350 wie sie von der Schweizer Armee verwendet wurde. Beide Maschinen sind von Werner total revidiert, auf einen technisch hervorragenden Zustand gebracht und für die Strapazen einer so langen und schwierigen Reise vorbereitet worden. Mir gefielen diese robusten und noch richtig nach Motorrad aussehenden Fahrzeuge sehr gut und ich war sehr beeindruckt von Werners Know-How und seiner gewissenhaften Art.
Registon mit Abendbeleuchtung |
Gegen 20 Uhr trafen wir auf dem Registon-Platz, genau zur richtigen Zeit für die abendliche Beleuchtung der Medresen, zwei schon etwas ältere französische Reisende, die in sieben Monaten mit indischen Royal Enfields von St Tropez nach Bali fahren, um mit ihnen zusammen Essen zu gehen. Auch dieser Programmpunkt in meinem Tag war sehr interessant und gut und lustig.
Registon by Night |
Müde von einem ereignisreichen Tag fand ich nach mehreren Versuchen einen Taxifahrer, der mich zum Standplatz unseres Muni chauffieren wollte, obwohl ich ihm keine genaue Adresse angeben, sondern nur auf der Karte von Tante Google meinen gespeicherten Parkplatz zeigen konnte. Lorenz und ich tauschten uns über unsere Erlebnisse aus und beendeten damit einen tollen, schönen Tag.